Kempten plant eine neue St. Mang - Brücke
'Auch in der Stadtpolitik sollte der konsequente Abschied von den Fehlentwicklungen der Nachkriegszeit, dazu zählt u. a. die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs (MIV) anerkannt werden.' So eine wichtige Empfehlung der hochrangig besetzten Expertengruppe Städtebaulicher Denkmalschutz bei deren mehrtägigem Besuch in Kempten im Juli 2019. Und weiter: 'Die derzeitige Verkehrssituation mit einer Bundesstraße in der Innenstadt (Lindauer-, Beethoven-, Burgstraße) und Durchgangsstraßen durch die Kernstadt führt zu starken Einschränkungen (...) als lebenswertem Stadtraum. Aus Sicht der Expertengruppe sind für die positive Entwicklung des Innenstadtbereiches die zeitnahe und konsequente Verbannung jeglichen Durchgangsverkehrs und eine allgemeine Reduzierung der für die Verkehrsinfrastruktur vorgehaltenen Flächen unerlässlich.'
Brücke mit Autobahnquerschnitt in Übereinstimmung mit Mobilitätskonzept Kempten 2030?
Im vom Stadtrat einstimmig beschlossenen Mobilitätskonzept 2030 steht daher als Handlungsanweisung zu lesen: 'Änderung der Verkehrsorganisation und baulichen Gestalt des Hauptstraßennetzes in der Innenstadt zur Vermeidung von Durchgangsverkehr.' Eine der Maßnahmen sieht eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 vor und als weitere Zielsetzung ist im Hinblick auf die St. Mang - Brücke formuliert, dass 'dabei (...) maßvoll mit den wertvollen Flächen im Umfeld der Iller umgegangen werden' sollte!
Alle diese Festlegungen scheinen Schall und Rauch zu sein, wenn man sich die Planung der zu erneuernden St. Mang - Brücke ansieht, über die jüngst in der Presse berichtet wurde. Von einer Bestandsbreite von 15 m soll diese um mehr als ein Drittel auf 24,5 m anwachsen und damit die Dimension einer Autobahnbrücke annehmen. Als mit Abstand breiteste Brücke im Stadtgebiet ist damit ein wahrlich überdimensioniertes Bauwerk zu erwarten, das dem Entrée in die Kemptener
Altstadt sicherlich nicht gut tun wird.
Brückenquerschnitt auf das Minimalmass reduzieren
Man fragt sich besorgterweise und mit großem Stirnrunzeln, wie es soweit kommen konnte? Weil eine Bundesstraße anschließt, trägt die Hauptlast der Finanzierung der Bund, womit für die Abwicklung des Bauvorhabens das Staatliche Bauamt Kempten zuständig ist. Der dortige Straßenbau-Bereich hat sich bei der jetzigen Planung aufgrund aktueller Verkehrszählungen der Stadt auf eine dreispurige Fahrbahn festgelegt. Die städtischen Gremien hatten im bisherigen Verlauf nur ein marginales Mitspracherecht, weil bei Ausführung einer (deutlich unter 20 m liegenden) zweispurigen Variante anscheinend die staatlichen Gelder zu versiegen drohen und die Kommune alleine für die Bezahlung der Maßnahme aufkommen muss. Werden hier die Ziele und Ansprüche unserer Stadtentwicklung hinten angestellt wegen fehlender Finanzierungsklarheit?
Auf Anfrage des architekturforum allgäu beim renommierten Mobilitätsexperten und Verkehrsplaner Prof. Dr. Heiner Monheim teilte uns dieser zur St. Mang - Brücke schriftlich mit, dass es eine zwingende Förderlogik für dreispurige Brücken nicht gebe und 'die Verschiebung der Baulast auf die Gemeinde bei geringerem Querschnitt juristisch nicht begründbar' sei. Und überhaupt: 'Ich halte das für politisch und planerisch nicht vertretbar, hier werden Ermessensspielräume nicht angemessen genutzt und Belange unangemessen nicht abgewogen. (...) eine klare Fehlplanung', die zu Mehrkosten führe, die erheblich sein dürften.
Wunsch nach einer Innenstadt für Menschen und nicht für Autos
In Anbetracht der äußerst sensiblen Situation im Innenstadtgefüge hätten wir aus baukultureller Sicht die frühzeitige Einbindung aller Planungsbeteiligten zur Klärung der geplanten Dimension und städtebaulichen Einfügung der neuen Brücke sowie zur Gestaltung der Anschlüsse an die beiden Straßenkreuzungen begrüßt. Schließlich gilt es ja dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich zum weithin berühmten historischen Ensemble der oberen Illerbrücken künftig ein adäquates Pendent gesellt!
Zurück zum MIV in der Kernstadt, der die hohen Qualitäten der historischen Doppelstadt weiterhin fraglos schmälert: Neben etwa der Poststraße handelt es sich besonders bei der Kronenstraße um einen neuralgischen Bereich, der über zwei Jahrhunderte nach der Stadt-Vereinigung von Stifts- und Reichsstadt endlich das Zusammenwachsen ohne Durchgangsverkehr für die Menschen sicht- und erlebbar werden lassen sollte.
November 2025