Vorbild Oberstaufen?
randnotiz 35

Datum
20.03.2023

Gewählte Ausführungsvariante 'Schloss' als schematische Konturlinie in der Silhouette Oberstaufens

"In Gedanken das Allgäu vor Augen, denkt man an unberührte Landschaften, intakte Natur und lebendige Tradition. All diese Eigenschaften machen das Allgäu zu einer der größten Tourismusdestinationen Deutschlands." (Zitat Allgäu GmbH)

Diese allgemeine Aussage der Allgäu GmbH teilt der Marktgemeinderat in Oberstaufen offensichtlich nicht. Er hat im Oktober 2022 der Errichtung eines 5-Sterne-Hotels auf dem Schlossberg zugestimmt. Der weit über 50 m hohe Hotelkomplex wird von der weltgrößten, börsennotierten US-amerikanischen Hotelkette Mariott International Inc. projektiert. Heute Florida, morgen Dubai, dazwischen ein Abstecher nach Oberstaufen und hier das Pittoreske des Allgäus genießen? Wenn die Allgäu GmbH auf ihrer Website schreibt, dass es gelungen sei "für die so unterschiedlichen Branchen des Wirtschafts- und Tourismusstandorts eine gemeinsame Wertebasis zu finden, die der Marke Allgäu einen starken und zukunftsgerichteten Charakter verleiht, ohne die Wurzeln der Bodenständigkeit zu verlassen", muss sich das Allgäu an dieser Stelle fragen lassen:

Wohin wollen wir als Region? Welche (kulturellen) Werte verfolgen wir?

Das architekturforum allgäu fordert diese Diskussion ein, setzt es sich doch seit über 20 Jahren für die selbst- und geschichtsbewusste Ortsentwicklung, für die Qualität der gebauten Umwelt und gegen den Ausverkauf unserer Region ein. Da im Falle des Schlossberg-Areales noch dazu nahezu alles über Bord geworfen wurde, was aus baukultureller Sicht das Gebot der Stunde sein sollte, sieht es die Vorgehensweise als durchaus bedenklich an.

Drohender Dammbruch

Für die Öffentlichkeit ist erst seit wenigen Wochen ersichtlich, welche Dimension das Projekt des global agierenden Unternehmens annehmen soll. Das authentische Landschaftsbild, mit dem sich Einheimische identifizieren und das Touristen schätzen um Erholung zu finden, wird durch das riesige und weltweit austauschbar zu platzierende Projekt stark verändert und nachhaltig gestört. Die Bürgerinitiative 'Rettet Oberstaufen' ist ein erster Ansatz, das Gespräch voranzutreiben. Sollte das Bauvorhaben Schule machen und den Ausverkauf des Allgäus eröffnen, möchte man ergänzen "Rettet das Allgäu".

Nachhaltigkeit ade - dritter Komplett-Abriss in der Geschichte des Schlossberges

Die Baubranche leidet an Ressourcen-Knappheit, die sogenannte `Graue Energie´ der vorhandenen Bausubstanz wird als Kapital in Zeiten des Klimawandels und einer unübersehbaren Transformation der globalisierten Materialienwirtschaft wiederentdeckt. In Oberstaufen dagegen wurde dieals Schlossberg-Klinik erbaute, große Gebäudekubatur komplett dem Erdboden gleich gemacht, obwohl der Bestand für die Überführung in eine neue Nutzung sicherlich nicht ungeeignet gewesen wäre. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Burg abgebrochen, die schlossähnliche Anlage als Nachfolger wurde in den 1950er Jahren geschleift. Nun also der dritte Abriss, wobei auch das ortsbildprägende und den Staufenern ans Herzen gewachsene kleine Turmgebäude trotz ursprünglich gegenteiliger Beteuerungen eliminiert wurde. An die jahrzehntelange Klinik-Geschichte erinnert somit faktisch keine bauliche Spur mehr.

Langfristiges Struktur-Konzept zur Ortsentwicklung: Fehlanzeige

Will das Allgäu, wollen touristische Top-Destinationen wie Oberstaufen, ihr spezifisches, lokales und regionales Kapital dauerhaft, nachhaltig und für die Region gewinnbringend entwickeln, brauchen sie Ideen und Vorgaben für ihre langfristig gedachte, enkeltaugliche, strategische Ortsentwicklung - im Besonderen als Vorgabe für Investoren. Sollen die größtenteils als Familienbetriebe geführten Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe vor Ort eine Zukunft haben, soll eine charakteristische, bodenständige und unverwechselbare Ortsstruktur vorangetrieben werden, muss sich die Gemeinde Oberstaufen in diesem Zusammenhang fragen lassen: Was nützt der Gemeinde, was nützt den Einheimischen und Touristen ein `global player´, der in Krisenzeiten wie diesen ein in sich relativ geschlossenes, die Silhouette dominierendes Luxus-Ressort für internationale Gäste schafft? Wem kommt der Profit zugute? Was, wenn dieses Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert? Dann bleibt für die vermutlich nur bei konstant hoher Auslastung rentable Großstruktur an prominentester Stelle lediglich erneut ein weiterer Komplett-Abbruch.

Wem gehören die Gemeinden? Mangelnde Verfahrenskultur und Bürgerbeteiligung

Eine frühzeitige und ernstgemeinte Bürgerbeteiligung fand leider auch in diesem Fall nicht statt. Die Öffentlichkeit wurde über das konkrete Vorhaben erst informiert, als mit dem Abschluss der Abbrucharbeiten bereits vollendete Tatsachen geschaffen waren. In der Folge wurde seitens des Investors ein 'architekturwettbewerbsähnliches Auswahlverfahren' angestoßen - ein fragwürdiges Vorgehen. Der ad hoc zusammen geholte 'Gestaltungsbeirat' erfüllte nicht die Kriterien eines unabhängigen, dauerhaft für eine Gemeinde tätigen Beratungsgremiums und wurde zudem erst dann einberufen, als Kubatur und Grunddisposition bereits entschieden waren. Das Vorhaben wird das Ortsbild Oberstaufens massiv verändern. Eine ernsthafte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger über die Nutzung dieses exponierten Geländes an und für sich war nicht gegeben. Dass das Allgäu eine zukunftsträchtige Tourismus-Region sein wird und sein soll, steht außer Frage. Einer nachhaltigen, ressourcenschonenden und maßstabsverträglichen Ausgestaltung sollte unserer Ansicht nach aber immer oberste Priorität eingeräumt werden. Es bleibt abzuwarten, ob das Bebauungsplan-Verfahren dem Schlossberg-Projekt den Weg ebnet? Das architekturforum allgäu regt eine öffentliche Diskussion zum geplanten und letztendlich die "Marke Allgäu" betreffenden baulichen Eingriff an.

März 2023


Die abgerissene Schlossberg-Klinik im Ortszusammenhang 2022