Vordenker der Baukultur - Prof. Dr. Karl Ganser (1937-2022)
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Datum
30.05.2022

'Karl Ganser ist ein Visionär, der pragmatisch denkt und ein Pragmatiker, der das Ganze nicht aus den Augen verliert.' Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident (Quelle: nrz)

'Endlich Heimat bauen'

Es war Anfang des Jahres 2003, als im damaligen architekturforum kempten ein Interview in der 'Zeit' mit Prof. Karl Ganser unter der Überschrift 'Endlich Heimat bauen' für lebhafte Diskussionen sorgte: 'Es fällt den meisten Menschen einfach nicht auf, in was für einer ramponierten Welt sie leben (...) Ich wünsche mir, dass wir endlich über das diskutieren, was uns ständig und überall umgibt. (...) Weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir uns dann wieder stärker verbunden fühlen - unseren Mitmenschen und unserem Lebensort. (...) Ja, ich will Heimat schüren, nicht Heimat schützen. Sie entsteht erst, wenn wir selbst Teil des kulturellen Prozesses werden und uns nicht länger als Zuschauer und Besucher wähnen. (...) Doch lässt sich ein erneuertes Bewußtsein nicht von oben verordnen, es muss am Ort und im Alltag ein Bedürfnis geben, sich überhaupt um die Baukultur zu kümmern. (...) Das wird mühsam werden und viele Jahre brauchen. (...) Und dazu werden am Anfang nur ganz wenige bereit sein. (...) Es würde ausreichen, wenn in jeder Region zehn oder zwanzig Leute sagen würden: Wir gründen ein Forum der Baukultur, wo die Menschen hingehen können, wenn sie einen Fremdenführer für das Alltägliche suchen. Wenn sie sehen wollen, was wir meist nicht mehr sehen, das unbekannte Bekannte. Natürlich könnten diese Foren auch rasch sehr politisch werden, denn sie würden auch konkrete Projekte zur Diskussion stellen.' Für uns alle, die wir wenige Jahre zuvor unsere Baukultur-Initiative aus der Taufe gehoben hatten, klangen diese Sätze wie eine Bestätigung und zusätzliche Motivation unseres Tuns. Über Jörg Heiler, dessen Doktorarbeit 'Gelebter Raum Stadtlandschaft' von Prof. Karl Ganser kritisch begleitet wurde, entstand schnell ein Kontakt zu ihm. Zu dieser Zeit trat er seinen Ruhestand im alten Bauernhaus seines Großvaters in Nattenhausen im Unterallgäu an. Dr. Jörg Heiler und der Geschäftsführer des architekturforum allgäu, Franz G. Schröck waren in regelmässigen Abständen dorthin zum Gedankenaustausch über den Zustand der regionalen Baukultur und einer reichhaltigen Brotzeit eingeladen, meist nachdem er sein Tagwerk im ausgedehnten Garten verrichtet hatte.

Herzensangelegenheit brachliegende Industrie-Quartiere

Wie selbstverständlich durften wir auch an seinem 70. Geburtstag teilhaben, den er in bezeichnender Weise auf dem ehemaligen Gaswerks-Gelände in Augsburg-Oberhausen feierte - ein einzigartiges und faszinierendes Industiedenkmal, für dessen Erhalt er sich mit seiner ganzen Erfahrung als Macher der berühmt gewordenen Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park im Ruhrgebiet einsetzte und dessen Weg zum jetzigen Kreativquartier er weitblickend vorgezeichnet hat. Keine Rede, dass ihm bei seinem damaligen Geburtstag der Bayerische Umweltpreis verliehen wurde, u. a. verbunden mit einem vorzüglichen Kuchen-Buffet der Unterallgäuer Landfrauen.

Identität des ländlichen Raums

Wichtig war Karl Ganser stets der ländliche Raum und seine Identität, die selbst bewohnte Hofstelle sollte ihren Beitrag gegen das Ausbluten unserer Ortsmitten sein, auch wenn dazu ein nicht mehr gebrauchter Stall gehörte, der 'als Volumen jedoch unabdingbar zum Gesamterscheinungsbild beiträgt'. Ebenso wie dies seiner Ansicht nach die Großbäume im Ort tun, die genau an den richtigen Stellen platziert wurden. Folgerichtig gab es dazu seine programmatische Überlegung, Eigentümer alter Hofstellen, die sich um den Erhalt derselben im Interesse des dörflichen Gesamterscheinungsbildes kümmern, öffentlich auszuzeichnen, um mit diesen Vorbildern konkret für ein Mehr an Baukultur zu werben - einen prinzipiellen Ansatz, den wir 2016 mit der Verleihung unseres ersten Baukulturgemeinde-Preises aufgriffen. Während der begleitenden Wanderausstellung stand uns Karl Ganser auch wiederholt als Referent zur Verfügung.

Gründungsvater der 'Bundesstiftung Baukultur' 

Auf diese Weise schloß sich der Kreis im Kleinen, den er im Großen Jahre zuvor angestoßen hatte: Nämlich die Einrichtung der Bundesstiftung Baukultur, die inzwischen höchst öffentlichkeitswirksam als Dachverband aller 200 Baukultur-Initiativen Deutschlands fungiert. Ein Zitat aus seinen vorausschauenden Gedanken, immer per Schreibmaschine festgehalten, sei hier wiedergegeben: 'Die Stiftung soll zusammen führen, was zusammen gehört: Denkmalschutz, Naturschutz, Landschaft, Ingenieurbau und Architektur. Sie soll streiten für die bessere Lösung. Sie soll den vielen lokalen Initiativen im Land eine Instanz mit Autorität und Unabhängigkeit sein, auf die sie sich berufen können. Die Bundesstiftung Baukultur gründet auf einem Bundesgesetz. Das ist ein stabiles und dauerhaftes Fundament:' Ohne ihn stünde die Baukultur national und regional ganz anders dar - Herzlichen Dank an Karl Ganser, der am 21. April 84-jährig verstorben ist.

Mai 2022


Internat. Bauausstellung (IBA) Emscher Park im Ruhrgebiet (1989 - 1999) (Quelle: empken)

Ehemaliges Gaswerks-Gelände in Augsburg- Oberhausen (Quelle: Architekturforum Augsburg)

Analyse zur Veränderung von Dorfkernen im Unterallgäu

Karl Ganser bei der Eröffnung der Ausstellung 'Baukulturgemeinde-Preis Allgäu' in Sulzberg