Neuaufstellung Flächennutzungsplan - Weichenstellung für eine enkeltaugliche Zukunft
randnotiz 33

Datum
18.04.2022

Innenentwicklung: geplantes Wohn-Quartier auf dem ehemaligen Saurer Allma-Gelände

'Jedem Entscheidungsträger gebe ich den dringenden Rat, sich seine Kommune aus einem Heißluftballon anzusehen - dann wird augenscheinlich, was baulich zu tun oder besser zu lassen ist.' So Michael Pelzer, weithin bekannter Alt-Bürgermeister der oberbayerischen Vorbild-Gemeinde Weyarn. Dieser Blick von oben wäre auch für Kempten angebracht, steht doch momentan die Neufassung des sog. Flächennutzungsplanes (FNP) auf der Tagesordnung. Was für die meisten Bürger|innen abstrakt klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als die Weichenstellung schlechthin für die kommenden Jahre, da der FNP nichts weniger als die langfristige Zielstrategie der Stadtentwicklung abbildet. Somit ist diesem wichtigen Instrument bei der jetzigen Neuaufstellung größtmögliche Sorgfalt zu widmen.

Weiter mit Innen statt Außen

Erklärtes Ziel der letzten Fortschreibung des FNP 2009 war es, den Fokus auf die Innenentwicklung zu legen und das Versiegeln weiterer Flächen im Außenbereich zu vermeiden - was unterm Strich durchaus gelang, indem der meiste Wohnbedarf auf bereits gewidmeten Flächen gedeckt werden konnte. Von dieser wichtigen Maxime zukünftig abzurücken macht in Zeiten des ungebremsten Flächenverbrauchs und der fortschreitenden Zersiedlung unserer Region keinerlei Sinn. Das beschlossene Innenentwicklungs-Konzept mit Baulücken-Kataster stellt dabei einen guten Grundstock dar und weist eindeutig in die richtige Richtung.

Klimaschonende Mobilität

Dass es über das Wohnen hinausgehende weitere Schwerpunktthemen gibt, sollte unbestritten sein: Etwa dasjenige von Mobilität und Verkehr. Werden wir unsere Stadt weiterhin autogerecht 'denken' und dem MIV (motorisierten Individualverkehr) uneingeschränktes Vorrecht einräumen oder soll es Schritte hin zu einer menschengerechten Mobilität geben, die für alle umweltschonende Alternativen bietet? Wird das Jahre alte Mobilitätskonzept endlich ernst genommen, was in diesem Zusammenhang zu einer drastischen Reduktion der immerhin 50 ha Parkierungsflächen (mit je 30 und mehr Stellplätzen) im Stadtgebiet führen oder die verkehrsdominierten Ein- und Ausfallstraßen Kemptens zu attraktiven Schwellenräumen machen würde?

Erfordernis eines umfassenden Grünraum - Konzeptes

Ebenso sollte ein umfassendes Grünflächenkonzept entwickelt werden, liegt doch die letzte große Maßnahme 'Engelhalde-Park' bereits 40 Jahre zurück. Eine auf der Hand liegende Option wäre, die im Grunde schon vorhandenen Grünachsen in OW- und NS-Richtung zu stärken, also vom Bachtelweiher zum Reichelsberg und von der Alten Bleiche zur Stiftsbleiche, wodurch durchgängige Naherholungsgebiete als Aufenthalts- und Transitflächen entstünden. Nicht zu reden von deren Bedeutung als qualitätvoller Lebensraum mit wertvollen Biodiversitäts- und Retensionsflächen - Stichwort 'Schwamm-Stadt'.

Abkehr von monofunktionalen Gewerbeflächen

Überhaupt erscheint das Prinzip der Nutzungsüberlagerungen als Gebot der Stunde, das wegführt von der bisherigen monofunktionalen Stadt, in der die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit räumlich voneinander getrennt sind. Besonders trifft dies auf Gewerbeflächen zu, für die offenbar ein großer Bedarf besteht. Statt singulären, flächenfressenden, eingeschossigen Baukörpern müsste es in Zukunft lauten: Zwingende Mehrgeschossigkeit, Integration von Parkraum, Nutzung der Dachflächen, qualitätvolle und nachhaltige Gestaltung.

Zukünftige Stadtentwicklung

Eine aktive, sozialverträgliche Bodenpolitik - wie von Hans-Jochen Vogel in seinem letzten Buch 'Eine Sache der Gerechtigkeit' anmahnt - sollte damit einhergehen. Es kann schließlich nicht sein, dass immer nur auf das Begehren von Investoren reagiert wird, ohne selbst vorausschauend und bewusst im Sinne einer übergeordneten Strategie zu agieren. Überhaupt ist die Fortschreibung des FNP ein starkes Stück Stadtentwicklung, die - und selbiges regen wir seit vielen Jahren an - eben nicht im Amt für Wirtschaftsförderung angesiedelt bleiben, sondern unbedingt dem Baureferat unterstellt werden sollte. Wir können uns nur wünschen, dass die Fortschreibung des FNP nicht nur in Kempten mit der Bevölkerung breit diskutiert wird, sondern in allen Gemeinden des Allgäus die baulichen Weichen mit Blick auf unsere Enkel bestmöglich gestellt werden.

April 2022


Handlungsbedarf Mobilität (Negativ-Beispiel Salzstraße), Quelle: Kreisbote

Handlungsbedarf Grünräume (Positiv-Beispiel Altstadtpark mit Illerstufen)

Handlungsbedarf Gewerbe (Negativ-Beispiel Siftsbleiche)

Kempten von Osten (3-D-Modelldruck)