Stadtbildprägende Großbäume - mehr als ein paar Festmeter Holz
randnotiz 32

Datum
24.02.2022

Hundertjährige Biergarten-Kastanie an der Schwedenstraße unter der Burghalde, Kempten (Foto: Carmen Cremer)

'Zu fällen einen schönen Baum, braucht's eine halbe Stunde kaum. Zu wachsen, bis man ihn bewundert, braucht er, bedenk' es, ein Jahrhundert.'

Herber Verlust für Quartiersbewohner

Diese Binsen-Weisheit von Eugen Roth scheint in der Kemptener Stadtgesellschaft leider noch nicht überall angekommen zu sein, wenn man sich die jüngsten Baumfällungen in der Innenstadt unter der Burghalde ansieht. Da wurde neben einer stattlichen Birke vor allem die wertvolle und intakte Biergarten-Kastanie in der Schwedenstraße unlängst der Kettensäge geopfert. Ein herber Verlust nicht nur für die Quartiersbewohner, die sich bereits 2020 mit über 200 Unterschriften gegen eine Fällung ausgesprochen hatten - kannten die meisten den imposanten Baum doch seit vielen Jahren und Jahrzehnten und haben ihn in dem an sich baum-armen und wenig durchgrünten ehemaligen Arbeiterquartier schätzen gelernt.

Ursachen für unzeitgemäßes Handeln

Begibt man sich auf Ursachen-Suche nach dem vollkommen unzeitgemäßen Handeln der Stadtgemeinschaft, drängen sich dem Betrachter unter anderem die folgenden Aspekte auf: Obwohl die erste Öko-Bewegung Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik sämtliche Maßnahmen, die hinsichtlich der Verbesserung unserer Umwelt-Qualität in die Wege zu leiten wären, auf den Tisch gelegt und in die Öffentlichkeit transportiert hatte, ist nahezu 40 Jahre lang kaum etwas in die entsprechende Richtung passiert. In der berühmten Ausstellungs-Publikation 'Grün kaputt' forderten die Autoren 1983 auch den Schutz bestehender Großgehölze vor allem in den Ortszentren ein und das aus guten und belegbaren Gründen, die wir inzwischen alle kennen sollten. Interessanterweise befindet sich die Ausstellung aktuell wieder auf Wanderschaft und kann traurigerweise nach wie vor in der Original-Version (sic!) gezeigt werden. Jedenfalls hat es seit dieser Zeit im vergangenen Jahrhundert bis zum Jahr 2021 gedauert, ehe die Stadt Kempten gegen den Widerstand der konservativen Fraktionen eine Baumschutzverordnung auf den Weg bringen konnte, die fortan alle Großgehölze mit einem Stammumfang von mehr als 80 cm im Stadtgebiet grundsätzlich unter Schutz stellt.

Baumerhalt und Neubau - Beides ist möglich

Wenige Tage vor deren Inkraft-Treten wurde indes vom Bauausschuss der Stadt Kempten ein Bauvorhaben bewilligt, das die Fällung der Biergarten-Kastanie im Holzplatz-Quartier zur Voraussetzung gemacht hatte. In anderen Städten und Gemeinden gibt auch solche Fälle: Als Beispiel sei die Stadt Sonthofen genannt, wo aber durch das beherzte Engagement des Umweltbeauftragten des Stadtrates, Michael Borth und einer unnachgiebigen Haltung der Verwaltung der Erhalt stadtbildprägender Bäume im Zusammenhang mit Neubaumaßnahmen zu einem guten Ende geführt werden, weil beide Dinge einfach aufeinander Rücksicht zu nehmen haben. Kommunikation sei an dieser Stelle ebenso als Schlüssel genannt wie eine gewisse Hartnäckigkeit gegenüber Planern und Bauherren, die oftmals nur die Gewinn-Maximierung ihrer Grundstücke im Auge haben. Im Fall der Schwedenstraße besonders schlimm: Es entsteht anstelle der Kastanie ein Gebäude aus Stahlblech-Containern, die weder kontextuell in das homogene Quartier der Jahrhundertwende passen, als auch dem Stadtklima dienlich sind, weil sie natürlich zu einer verstärkten Aufheizung der Innenstadt beitragen.

Salzburger Land als Vorbild - Region

Nicht nur im Bewusstsein, sondern auch in der praktischen Anwendung drei Schritte weiter ist z. B. das Bundesland Salzburg. Hier existieren sogenannte Grünflächen-Zahlen als Vorgabe für jedes Bauvorhaben, es muss somit differenziert je nach Bauaufgabe und -ort ein bedeutsamer Anteil an Grünbereichen nicht nur auf dem Grundstück, sondern auch auf Dächern und an Fassaden realisiert werden, um eine Baugenehmigung zu erhalten. Was in Zeiten der sich abzeichnenden Klima-Katastrophe und des dramatischen Verlustes an Bio-Diversität vor allem in Siedlungsräumen durchaus Sinn macht. Bleibt mit Blick auf die nachfolgenden Generationen also zu hoffen, dass dieser Erkenntnisgewinn bald auch in unserer regionalen Gesellschaft erfolgt.

Februar 2022


Baumfällung der Biergarten-Kastanie an der Schwedenstraße in den frühen Morgenstunden des 12.02.22 (Foto: Franz G. Schröck)

Ausstellungs-Publikation 'Grün kaputt', Autoren: Dieter Wieland - Peter M. Bode - Rüdiger Disko, 1983