Die (kleinen) gebauten Dinge
randnotiz 30

Datum
11.05.2021

'Garten des Grauens', Kempten

Eine vielbesuchte Instagram-Seite macht die zunehmende Versiegelung unserer (Vor-)Gärten unter der Überschrift 'Gärten des Grauens' zum Thema. Trotz abnehmender Bio-Diversität in unseren Siedlungsräumen scheinen auch viele Allgäuerinnen und Allgäuer diesem Trend verfallen, gewährleistet doch eine Bekiesung der privaten Gartenflächen anscheinend dauerhaft die Vermeidung von Pflegeaufwand. Dass aber gerade diese kleinen und unbedeutenden Maßnahmen in Summe dafür sorgen, daß sowohl das Kleinklima mit seiner Tier- und Pflanzenwelt leidet, als auch gestalterisch alle bisherigen Gepflogenheiten außer Kraft gesetzt werden, erscheint geradezu fatal.

Bewusstseins - Verlust

Vor nahezu vier Jahrzehnten versuchte der Dokumentarfilmer Dieter Wieland mit seiner berühmt gewordenen Reihe 'Topografie' im Bayerischen Fernsehen die Zuschauer an Themen heranzuführen, die jeder Einzelne von uns auch in unserer Zeit in der Hand hat: Da ging es um die Sensibilisierung für sinnvoll gestaltete Gärten und Wege, um Zäune, Haustüren, um Dächer und vieles andere mehr. Wieland selbst musste allerdings anlässlich seines 80. Geburtstagtages vor vier Jahren leider einräumen, dass alles viel schlimmer gekommen sei, als er sich damals ausmalen konnte.

Gründe des Niedergangs

Über die Ursachen kann nur spekuliert werden: Ist es das sog. 'Cocooning' in unser immer komplexer werdenen Welt, also das Ein-Igeln in die eigene Privat-Sphäre, die nichts mehr mit ihrer Außenwelt zu tun haben will? Ist es ein Mangel an gestalterischer und kultureller Bildung, die unser Nachwuchs in seiner Schulzeit erfährt? Ist es das überbordene Angebot an fragwürdigenAusstattungsgegenständen, die die Baumärkte landauf, landab zu Billigpreisen anbieten? Unterm Strich jedenfalls leidet auch die in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft des Allgäus unter der wachsenden Ignoranz vieler seiner Bewohner.

Abschottung statt Miteinander

Während früher Gebäude ganz selbstverständlich in die vorhandene Topografie eingepasst wurden, sind mittlerweile anscheinend meterhohe Wälle aus Wasserbau(!)-Steinen erforderlich, um die Anforderungen des Geländes zu meistern. Zäune, die Hochsicherheitstrakte vermuten lassen, umgeben unsere Grundstücke und riegeln sie hermetisch nach außen hin ab, als ob es kein nachbarschaftliches Miteinander und soziales Leben mehr gäbe. Der neueste Hit dabei sind bedruckte Folien, die zwischen Metallgitter-Umfriedungen gespannt, mit Gabionen- oder Geranien-Optik aufwarten. Oft kombiniert werden diese Anlagen mit Thuja-Pflanzungen, die vermeintlich ein Höchstmaß an Blickdichtigkeit gewährleisten, aber alles andere als heimische Gehölze sind. Auch unsere Dachlandschaften wurden vielerorts zusehens durch ungestaltete Solar- und Photovoltaik-Anlagen in arge Mitleidenschaft gezogen. So sinnvoll diese Paneele in Zeiten der Klima-Katastrophe sein mögen, ihre Platzierung und ihr Aussehen sollten doch gewissen ästhetischen Mindestanforderungen genügen.

Musterbeispiel Vorarlberg

Müßig, auch in diesem Zusammenhang auf unser benachbartes Bundesland Vorarlberg zu verweisen, in dem Energie-Paneele in der Regel sorgsam gestaltet auf den dortigen Dächern integriert werden. Die Gemeinde Zwischenwasser vergibt gar einen kommunalen Bauherrenpreis für gelungene Gebäudeeinbettungen ins Gelände - eine Auszeichnung, die laut Alt-Bürgermeister Josef Mathis wenige Euro für eine Plakette kostet, aber bei der gesamten Gemeindebevölkerung die Sensibilität für Sockelausbildungen schärft. Während in Vorarlberg sog. 'Steingärten' so gut wie gar nicht vorkommen, hat sich Baden-Württemberg übrigens aus gegebenem Anlass dafür entscheiden, solche Gartengestaltungen landesweit zu untersagen.

Allgäuer Vorbild

Dass es auch im Allgäu rühmliche Ausnahmen gibt, zeigt die Gemeinde Irsee, die mit dem Baukulturgemeinde-Preis Allgäu 2016 ausgezeichnet wurde. Alle Bebaungspläne untersagen die Pflanzung von Thuja-Gehölzen und schreiben für Zäune natürliche Materialien vor. Beim Flanieren durch den Ort wird deutlich, dass das private Tun in seiner Gesamtheit für Einheimische und Besucher zu einer Wohltat werden kann, denn 'Kleinvieh macht eben doch Mist'.

Mai 2021



'Gärten des Grauens', alle in Kempten

Verunstaltung von Dachlandschaften durch Energie-Paneele in Bad Grönenbach

Bastionen aus Fluss-Bausteinen in Wertach

Regionales Musterbeispiel Irsee

Sorgsam integrierte Energie-Paneele im Bregenzer Wald (Quelle: Isler)

Sensible Gelände-Einbettung eines Vorarlberger Hauses (Architekt: Hermann Kaufmann)