Wirlings ist überall - ein Plädoyer für mobile Gestaltungsbeiräte
randnotiz 29

Datum
28.02.2021

Historische Postkarte Buchenberg - Wirlings

Gelungene Ortsmitte in Buchenberg

Die Gemeinde Buchenberg erfreut sich seit geraumer Zeit einer neuen Ortsmitte, die allgäuweit zu einem Vorzeige-Objekt in Sachen Baukultur avanciert ist. Beginnend mit der Aufwertung des 'Adler'-Umfeldes und der Freiflächengestaltung an Rathaus und Kirche im Jahr 2013 wurde mit der klugen Entscheidung, den regionalen Lebensmittelmarkt weiterhin im Herzen der Gemeinde anzusiedeln, 2016 ein Wettbewerbsverfahren initiiert, das zum jetzt gebauten, stimmigen Ergebnis geführt hat. Buchenberg also auf dem besten Wege zur Baukulturgemeinde und heißer Aspirant auf unseren nächsten Baukulturgemeinde-Preis Allgäu? - Leider scheint es, dass der vormals eingeschlagene Weg verlassen wurde, wenn man sich beispielhaft zwei aktuelle Bauvorhaben in Buchenberg ansieht.

In Kürze zerstörte Ortsmitte in Wirlings

Inmitten des Gemeindeteils Wirlings wurde jahrelang das historische Gasthaus mit ehemaliger Krämerei, seit jeher das(!) ortsbildprägende Gebäude neben der Kirche, tatenlos dem Verfall preisgegeben. Nunmehr erteilte der Gemeinderat einem Bauträger per Genehmigung einer entsprechenden Bauvoranfrage die Erlaubnis zu dessen Abriss und hat an gleicher Stelle der Errichtung einer überdimensionierten Wohnanlage zugestimmt. Somit ist abzusehen, dass die 'Seele des Ortes' empfindlich in Mitleidenschaft gezogen wird, obwohl per se nichts gegen eine Mehrfamilienhaus-Nutzung spricht.

Einzelfall Eschacher Straße

Zudem hat die Gemeinde jüngst an der Eschacher Straße die Beseitigung eines intakten und bewohnten historischen Fachwerkhauses abgesegnet - zugunsten eines neuen Mehrfamilienhauses, das gar nichts mit der alten Struktur Buchenbergs und der gewachsenen Typologie seiner Bauten zu tun hat. Auch dieser Einzelfall offenbart den Rückzug der Entscheidungsträger auf die geltenden Rechtsvorschriften, ohne dass der baukulturelle Zusammenhang in irgend einer Form eine Rolle spielt. Und das betrifft hier in gleichem Maße auch die übergeordnete Genehmigungsinstanz, nämlich das Landratsamt Oberallgäu.

Einrichtung eines Gestaltungsbeirates als Lösungsansatz

Wir stellen uns daher die berechtigte Frage, wie solche Verluste von Kulturgut in Zukunft in unserer Region vermieden werden können und regen zum wiederholten Male an, auf Landkreisebene einen mobilen Gestaltungsbeirat zu installieren, der von jeder Gemeinde bei Bedarf in Anspruch genommen werden kann. Besonders im Oberallgäu scheint dies dringend geboten, da hier - einzigartig im Allgäu - die Stelle des Kreisbaumeisters seit 2007 unbesetzt geblieben ist. Ein solcher Fürsprecher der Baukultur wäre in früheren Tagen bei den vorgenannten Beispielen als Fachinstanz mit Sicherheit zu Rate gezogen worden.

Positive Erfahrung mit Gestaltungsbeiräten in Allgäuer Städten

Nicht von ungefähr haben vor einigen Jahren die kreisfreien Städte Sonthofen, Kaufbeuren, Kempten und jüngst Memmingen bewusst Gestaltungsbeiräte ins Leben gerufen. Und sie alle konnten damit durchweg positive Erfahrungen machen, wenn es um die fachliche Beurteilung komplexer baulicher Entwicklungen ging. Auch in ländlichen Gefilden hätte eine solche Expertise mit Empfehlungscharakter aus unserer Sicht durchaus seine Berechtigung, wie der Blick in den Bregenzer Wald zeigt. Hier werden seit vielen Jahren wichtige bauliche Entwicklungen durch Ratschläge von unabhängigen Fachleuten begleitet - nicht zuletzt deshalb gilt dieser Landstrich als europaweit vorbildliche Baukultur-Region, wovon sowohl der dortige Tourismus als auch die heimische Wirtschaft profitieren.

Wie funktioniert ein mobiler Gestaltungsbeirat auf Landkreisebene?

Ein solches Gremium ist quasi zentral beim jeweiligen Landratsamt beheimatet und kann bei Bedarf von der jeweiligen Gemeinde angefordert werden - weil sich sicherlich nicht jede Kommune eigene Bauberater leisten kann, aber sich dennoch ein solch hilfreiches Instrument ohne weitere Verpflichtungen zu Nutze machen möchte. Als Mitglieder in Gestaltungsbeiräte berufen werden Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, die nicht im Landkreis tätig sind, um eine unabhängige Beratung zu gewährleisten. Mit ihrem Fachwissen und Ihrer Kenntnis der regionalen Bautradition vermögen sie neue Bauvorhaben hinsichtlich einer sinnvollen Weiterentwicklung unserer wertvollen Kulturlandschaft fundiert zu beurteilen. Die Aufwandsentschädigung für Gestaltungsbeiräte orientiert sich an den Preisrichter-Gebühren der Bayerischen Architektenkammer. Bei mobilen Gestaltungsbeiräten ist die finanzielle Beteiligung des Landkreises und der Regierung von Schwaben auszuloten, sodass für die Gemeinden vermutlich nur eine geringe Selbstbeteiligung verbliebe. Die Satzung von Gestaltungsbeiräten kann ganz individuell gestaltet werden. Festlegbar sind unter anderem Anzahl, Zusammensetzung und Rotation des Gremiums, Art und Weise der Beratung, terminliche Taktung und dergleichen. Vorteile über Vorteile also, die dem zukünftigen baulichen Erscheinungsbild unserer Region zugute kämen. Daher wird sich das architekturforum allgäu weiterhin intensiv für die Einrichtung von mobilen Gestaltungsbeiräten in allen vier Allgäuer Landkreisen einsetzen.

Februar 2021



Ehemaliges Gasthaus und Krämerei 'Rössle', Wirlings, zum Abriss freigegeben

Fachwerkhaus Stöckeler, Eschacher Straße, Buchenberg, zum Abriss freigegeben

Ersatz-Neubau Stöckeler, an gleicher Stelle, Baugenehmigung 2020