Wertvoller Gebäudebestand schafft eigene Identität
randnotiz 28

Datum
31.10.2020

Ehem. 'Haus Bavaria', Bodmanstraße in Kempten (Historische Postkarte)

Die so genannte 'Allgäu-Metropole' tut sich schwer, ihr bauliches Erbe gegen die Begehrlichkeiten so manchen Investors zu bewahren. Deutlich zu Tage tritt dies in jüngster Zeit wieder einmal beim markanten und stadtbildprägenden Eckgebäude Bodmanstraße - Adenauerring, als 'Bavaria' tief im kollektiven Gedächtnis der Stadtbewohner und darüber hinaus verankert.

'Ein Gebäude mit Eigenschaften' (frei nach Robert Musil)

Für das Bodmanstraßen-Viertel existiert seit vielen Jahren zurecht eine Stadtbildsatzung *, weist diese Prachtstraße doch einen ganz besonderen Charakter im Stadtgefüge auf. Hubert Hingerl setzte dem Straßenzug mit seinem Buch 'Gusgasga' ein literarisches Denkmal. Am höchstgelegenen Abschluß nach Westen wurde 1899 die 'Gaststätte zur Bavaria' erbaut. Nach Aufgabe der Wirtschaft 1930 brachte man den 'Bavaria-Kindergarten' in den ehemaligen Schankräumen unter. 1959 kaufte der weithin bekannte Kunstmaler Franz Weiß das Gebäude, nutzte es selbst als Wohn- und Atelierhaus und wirkte von hier aus mit seinem herausragenden künstlerischen und handwerklichen Können. Auch seine sozialen Aktivitäten, zu denen u. a. die Ausrichtung des jährlichen Stadtnikolaus-Umzuges zählte, verdienen große Anerkennung. Ein Bauwerk also mit bewegter Geschichte, deren Spuren sich wunderbar ablesen und nachvollziehen lassen. Eine Tatsache allerdings, die das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege nicht würdigt und das Gebäude wegen Veränderungen am Originalzustand als nicht schützenswert einstuft. Nebenbei bemerkt ist das Spannende an Baugeschichte doch aber der fortwährende Transformations-Prozess, dem auch Einzelgebäude unterliegen.

Haltung und Strategie der Stadt wird vermisst

Die Witwe von Franz Weiß ist als langjährige Eigentümerin des 'Bavaria' - Hauses wenig pfleglich mit dem Kulturerbe umgegangen. Gerät ein wertvolles historisches Gebäude erst einmal in einem bemitleidenswerten Zustand und mangelt es an einer übergeordneten Strategie der Kommune, ist Spekulanten Tür und Tor geöffnet. Genau dies ist geschehen, als das Haus 2018 öffentlich zum Kauf angeboten wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Stadt Kempten ihrer kulturellen Verpflichtung nachkommen und für dessen Zukunft Sorge tragen müssen. Wäre es doch relativ einfach gewesen - aus der eigenen Stadtbildsatzung abgeleitet - auf die weitere Entwicklung Einfluss zu nehmen. Und zwar mit einer Reihe von Steuerungsinstrumenten, die einer Kommune zur Verfügung stehen: Veränderungssperre, vorhabenbezogener B-Plan mit Erhaltungssatzung nach § 172 Abs.1 (1) BauGB oder Sicherung des Gebäudes durch Kauf und Wiederverkauf mit entsprechenden Auflagen, um nur einige zu nennen. Manche Gemeinden gewähren auch einfach kommunale Förderungen für den Erhalt ortsbildprägender Gebäude. Aber die Dinge gingen wie meist ihren Gang: Ein Investor und sein Architekt traten auf den Plan und entwickelten ein Projekt vorrangig nach wirtschaftlichen Kriterien, sprich Abbruch und Neubau. Erste Entwürfe sind der Stadtgesellschaft über die Presse mittlerweile bekannt. Erneut muss festgestellt werden, dass jetzt nicht mehr agiert, sondern nur noch reagiert werden kann. Dankenswerterweise hat in diesem Fall zumindest der Gestaltungsbeirat die Hand gehoben und den Investor eindrücklich ermahnt, doch wenigstens den Erhalt der 'Bavaria' - Fassade zu prüfen.

Weiteres Fallbeispiel 'Ulmer Straße'

Dass auch Gebäude in einem ganz anderen Kontext erhaltenswert gewesen wären, zeigt ein Blick in die Ulmer Straße im Osten der Stadt: Auch hier wurden die bemerkenswerten Bundeswehr-Gebäude am dortigen Stadteingang an einen örtlichen Investor weitergereicht, ohne zu prüfen, ob nicht Teile der soliden und über die Jahrzehnte äußerst gepflegten Bausubstanz für eine Nachnutzung hätten Verwendung finden können. Stattdessen wurde hier der komplette Alt-Bestand zugunsten eines ausgedehnten Sport- und Freizeitzentrums mit vorgelagertem Großparkplatz bereits flächendeckend abgebrochen. Vermutlich dürfte auch in diesem Fall das 'Neue' in vielerlei Hinsicht kaum die Qualität des 'Alten' erreichen.

Beitrag von historischen Gebäuden zur Identität des Allgäus

Noch wird in unserer Region zu wenig erkannt, welches Potential wertvolle alte Bausubstanz birgt. Gebäude aus vergangenen Tagen können zur Identitätsstiftung eines Straßenzuges, eines Gemeindeteiles, ja einer ganzen Kommune oder Region beitragen - und außerdem für eine ressourcenschonende Weiterentwicklung stehen. Bis sich diese Erkenntnis flächendeckend bei uns durchsetzt, werden wohl noch viele Gebäude der Abrissbirne zum Opfer fallen und letztlich zu einem Gesichtsverlust des Allgäu führen.

Oktober 2020

* Stadtbildsatzung Kempten §2 (2) (gültig seit 1997 u. a. für den 'Homogenen Bereich' Bodmanstraßen-Viertel): 'Dabei ist auf Gebäude (...) und freiräumliche Anlagen von geschichtlicher, künstlerischer und städtebaulicher Bedeutung besonders Rücksicht zu nehmen.'


Späteres Wohn- und Atelierhaus Franz Weiß, Zustand 2019

Vorschlag Abriss und Neubau Geschäftshaus, 2020 (Quelle: Gestaltungsbeirat Stadt Kempten)

Ehem. Bundeswehr - Versorgungsgebäude, Ulmer Straße in Kempten (Abriss 2020)

Neubau Sport- und Freizeitzentrum Ulmer Straße, Kempten (Quelle: Gestaltungsbeirat Stadt Kempten)