Verständnis statt Zwang - Lokale Gestaltungssatzungen: ein Auslaufmodell
randnotiz 26

Datum
30.04.2020

Gerstruben bei Oberstdorf (Quelle: seep-fotoschmiede)

'Gerstruben könnte nicht mehr gebaut werden, wenn man die aktuelle Gestaltungssatzung der Marktgemeinde Oberstdorf zugrunde legt', so die unmissverständliche Aussage des ortsansässigen Architekten Klaus Noichl. Eine erstaunliche Feststellung, trifft doch das über 400 Jahre alte Gerstruben eigentlich genau das Klischeebild der typischen Allgäuer Siedlung und deren traditioneller Behausung - häufig postkartengerecht inszeniert weit über das Regional-Marketing hinaus.

Fragwürdiger Erfolg von Gestaltungssatzungen

Es ist wohl ein eher diffuses Bild wie regionale Hauslandschaften aussehen sollten, das den unzähligen Gestaltungssatzungen zugrunde liegt, die das Bauen in den Allgäuer Gemeinden unter dem heren Ziel reglementieren wollen, dass ortsbildtaugliche und landschaftsverträgliche Gebäude entstehen. Viele Vorschriften scheinen auf fragwürdigen Begründungen zu beruhen und werden von Bauherren zumeist als Zwang und Einschränkung empfunden. Oft wird daher versucht die Vorgaben von Gestaltungssatzungen über Ausnahmen und Befreiungen im Baugenehmigungsverfahren zu umgehen.

In jüngster Vergangenheit schickt sich auch die Stadt Memmingen an, für den Altstadtbereich eine Gestaltungssatzung aufzustellen. Im kürzlich von der Verwaltung vorgestellten Entwurf mit seinen 19 Paragrafen findet sich etwa eine flächendeckende Vorgabe der Verwendung von Fassadenputz mit höchstens 1,5 mm Körnung oder der Fensterausbildung als stehende Rechtecke mit Sprossen. Solche Vorgaben hatte es jahrhundertelang nicht gegeben und trotzdem stellt sich die Memminger Altstadt bei aller Vielfalt als homogenes Ganzes dar. 

Kontextuelles Bauen in der Vergangenheit

Bleibt die Frage nach dem Warum?: Weil vergangene Generationen beim Bauen nicht nur Ich-bezogen und scheuklappenartig auf das eigene Bauwerk geschaut haben, sondern weil man sich mit seinem Gebäude als Teil eines größeren Ganzen verstand. Und da war es selbstverständlich, dass man quasi nach links und nach rechts blickte, also Typologie, Struktur, Körnung, Kubatur, Form und Material des Ensembles analysierte. Und diese Kriterien - bewusst oder unbewusst - bei einem neuen Bauwerk im Hinterkopf hatte und damit die schlüssige Transformation beim Weiterbauen schaffte.

Weitgehendes Beratungsdefizit in Gestaltungsfragen

Eigentlich sollte es immer selbstverständliche Pflicht jeden Planers sein, sich am vorhandenen Kontext zu orientieren und ihn seiner Bauherrschaft nahezubringen. Leider ist genau dies in unserer Zeit oftmals gänzlich verloren gegangen. Doch anstatt dieses Manko über die 'Zwangsmaßnahme' Gestaltungssatzung wieder in den Griff zu bekommen, sollten Kommunen eher für Wissensvermittlung und beratende Aufklärung sorgen - denn nur wenn die Dinge von Bauherrenseite verstanden und mitgetragen werden, können nachhaltige Gestaltungen gelingen.

Exemplarisch wurde beispielsweise beim Baugebiet 'Am Kesselberg' am westlichen Stadtrand von Kaufbeuren versucht, den Bauwerbern vor Verkauf der Grundstücke über Info-Veranstaltungen zu erklären, warum und wieso welche Rahmenbedingungen für ein gemeinsames Erscheinungsbild sinnvoll sind. Und siehe da: Eine der besten neuen Siedlungen im Allgäu ist entstanden. Ein mustergültiges Beispiel stellt auch das druckfrische Baumemorandum der Stadt Sonthofen dar, das - erarbeitet unter Leitung von Prof. Christian Wagner an der Hochschule Chur - eben genau auf das Motto 'Einsicht statt Zwang' setzt und von dem man sich wünscht, dass mehr und mehr solcher Instrumente die überkommenen Gestaltungssatzungen im Allgäu ablösen.

April 2020


Altstadt Memmingen (Quelle: Alfred Weitnauer 'Bei uns im Allgäu')

Auszug aus der Gestaltungssatzung der Marktgemeinde Oberstdorf

Baugebiet 'Am Kesselberg' Kaufbeuren 1999 - 2005, Modell stadtmüller.burkhardt.architekten

Baumemorandum der Stadt Sonthofen (abrufbar unter: https://www.stadt- sonthofen.de/stadtinfos/aktuelles/aktuelles-in- sonthofen/baumemorandum-der-stadt- sonthofen/)