Reduce Reuse Recycle - Ein Gebot der Stunde
randnotiz 22

Datum
01.06.2019

Publikation zum deutschen Beitrag auf der Architektur-Biennale 2012 in Venedig,

Mit den drei 'R' - Begriffen aus der Abfallwirtschaft präsentierte sich Deutschland auf der Architektur-Biennale 2012 in Venedig. Reduzieren, Wiederverwenden und - verwerten sind eigentlich spätestens seitdem auch beim Bauen das Gebot der Stunde. Entstehen doch über 60% des globalen Müllaufkommens durch Gebäudeschutt! Dank des anhaltenden Baubooms produziert allein Deutschland inzwischen über 400 Millionen Tonnen Abfälle im Jahr. Bei einer sinkenden Anzahl von Deponien wird mehr und mehr Bauschutt schon jetzt ins Ausland transportiert, wie die Deutsche Handwerkszeitung im vergangenen Jahr verlauten ließ und unter der Überschrift 'Deponien am Limit' von einem Entsorgungsnotstand sprach.

Noch kein Bewusstsein für 'Graue Energie'

Auch bei uns im Allgäu gibt es noch wenig Bewusstsein für den Erhalt der sog. 'Grauen Energie', also derjenigen Ressourcen, die bei der Errichtung von Gebäuden aufgewendet wurden und fortan dort schlummern. Es stellt sich in Zeiten von 'Fridays for Future' die berechtigte Frage, warum sanierungsfähige Gebäude komplett abgerissen werden müssen, anstatt zumindest den Rohbau zu erhalten und ein sog. 'Upcycling' zu betreiben? So haben die Ingenieure von Werner Sobek z. B. unlängst bei einem bestehenden Bürogebäude aus den 80er Jahren in München errechnet, dass durch den Erhalt des Bestandes in Vergleich zu einem Neubau Energie- bzw. CO2-Mengen in einer Größenordnung eingespart werden, die der energetischen Versorgung des gesamten Hauses über 34 Jahre entsprechen!

Fallbeispiel Sparkassen - Gebäude Kempten

Neben bauhistorischen Werten, die wie beim vollzogenen Abriss des Gasthof 'Löwen' in Oy oder beim beschlossenen Abbruch der denkmalgeschützten 'Alten Schule' in Immenstadt - Bühl unwiderbringlich verloren gehen, sind also ganz konkrete wirtschaftliche Vorteile ins Feld zu führen, wenn ein Bestandsgebäude weitergebaut wird. Diese Argumentation vertrat auch die hochkarätig besetzte Expertengruppe Städtebaulicher Denkmalschutz, die Mitte März diesen Jahres die Stadt Kempten besuchte und sich dabei u. a. dafür aussprach, das ehemalige Sparkassen - Gebäude an der Königstraße in seiner Grundsubstanz zu erhalten - anstelle wie geplant zugunsten eines neuen Büro-Komplexes komplett abzureissen. Davon, dass sich das Gebäude in keinem besorgniserregenden Zustand befindet, können sich alle Besucher der 'Kunstarkaden', einer momentanen Zwischennutzung als erdgeschossige Ausstellungsfläche, zweifelsfrei überzeugen. Überhaupt stellt sich das Haus als eines der ganz wenigen typischen 50er Jahre - Bauten im Allgäu dar, ein Stein gewordener Zeitzeuge des Wirtschaftswunders nach dem Krieg, der eine solide Grundstruktur aufweist und in den 90er Jahren bereits grundlegend saniert wurde.

Fallbeispiel Hofgarten - Stadthalle Immenstadt

Aber es sind halt leider die vermeintlich ungeliebten Nachkriegsdekaden beim Bauen, die zu vorschnellen Abriss-Überlegungen führen, so in jüngster Zeit auch bei der Hofgarten - Stadthalle in Immenstadt, einem Werk mit spröder Beton-Ästehtik von Architekt Emil Janner, das im fünfzigsten Jahr der Kulturgemeinschaft Oberallgäu zugunsten eines Verbrauchermarktes des Oberstdorfer Bauunternehmens Geiger getilgt werden soll. Laut Aussage von Gerd Bischoff, dem früheren Vorsitzenden der Kulturgemeinschaft, sei das 1969 eröffnete Gebäude ohne Zuschüsse und Kredite mit vielen Spenden aus der Bevölkerung errichtet worden, eine Tatsache allein, die alle Abriss-Enthusiasten schon bremsen sollte. Übrigens beinhalten die Geiger-Pläne, die ohne bisherige Bürgerbeteiligung in nicht-öffentlicher Sitzung dem Immenstädter Stadtrat präsentiert wurden, neben dem Verbrauchermarkt einen zweiten Gebäudetrakt im Süden und reduzieren damit den historischen Hofgarten auf eine schmale Promenade - ein städtebaulicher Fauxpas.

Vom Sinn und Unsinn des Bauens

'Neu bauen ist oft mit Verschwendung und Prestigesucht verbunden, immer teuer und oft unwirtschaftlich; es schadet der Umwelt und fördert die soziale Spaltung unserer Städte', so im Klappentext des Buches 'Verbietet das Bauen' von Daniel Fuhrhop zu lesen. Die Streitschrift stellt zwar in überspitzter, aber dennoch im Kern richtiger Weise einen Sachverhalt dar, der da lautet: Kein vorschneller Abriss ohne dezidierte Prüfung eines kreativen Umgangs mit der bestehenden Bausubstanz.

Juni 2019


'Sparkassen-Gebäude' Kempten, Fertigstellung 1954

'Sparkassen-Gebäude' Kempten, Fertigstellung 1954

'Verbietet das Bauen', eine Streitschrift von Daniel Fuhrhop 2015

'Hofgarten-Stadthalle' Fertigstellung 1969

Freianlage Hofgarten Immenstadt