Bahnhofsareal Memmingen - Beispiel einer verfehlten Stadtentwicklung
randnotiz 20

Datum
14.04.2018

Ausschnitt aus dem Urkataster der Stadt Memmingen, beginnendes 19. Jahrhundert, mit Markierung des Bahnhofsareals

'Wenn Städte und Gebäude einladend wirken sollen, muss das menschliche Maß wieder mehr berücksichtigt werden. Dies ist die schwierigste und sensibelste städtebauliche Disziplin. Wird dieser Aspekt jedoch vernachlässigt oder falsch gehandhabt, hat das Stadtleben keine Chance. Die weithin praktizierte Planung von `oben und außen` muss neuen Planungsverfahren von `unten und innen` weichen, und zwar nach der Devise: erst das Leben, dann der Raum und zuletzt die Bauten', so der weltweit renommierte Stadtplaner Jan Gehl in seinem wegweisenden Buch 'Städte für Menschen.'

Weg des von 'oben und außen' All diese Kriterien wurden leider bei der Entwicklung des Memminger Bahnhofsviertels weitgehend vernachlässigt. Vor acht Jahren entschied sich der Rat der Stadt mehrheitlich dafür den Weg des von 'oben und außen' zu beschreiten und sich auf die Suche nach mehreren Investoren zu machen, um das städtebaulich bedeutsame Areal am östlichen Innenstadteingang zu entwickeln - ein Pfad, dessen Folgen nunmehr zu Tage treten. Nachdem jahrelang in der Öffentlichkeit nichts zum Sachstand kommuniziert wurde, stimmte der Memminger Stadtrat in seiner Sitzung vom 05.02.2018 für eines der beiden übrig gebliebenen Konzepte und beauftragte den niederländischen Investor Ten Brinke Group mit der weiteren Entwicklung. 

Entscheidung zwischen Pest und Cholera Eine Entscheidung ohne wirkliche Wahlmöglichkeit, wenn man sich die beiden Investoren-Vorschläge näher ansieht: Lebendige Städte weisen immer eine ausgewogene Nutzungsmischung auf, während hier fast zu 100% Gewerbe und Büroflächen realisiert werden sollen, die das wichtige und auch für Memmingen vordringliche Thema des Wohnens praktisch gänzlich außen vor lassen. Beide in ihrer gestalterischen Ausprägung fragwürdige Investoren-Entwürfe wollen das Gebiet flächendeckend dem Erdboden gleich machen - und das obwohl der Historische Verein seit Langem auf etliche geschichtsträchtige Einzelobjekte im Quartier hingewiesen hat, die es wert gewesen wären, in ein Gesamtkonzept integriert zu werden, um so ein Fortschreiben der Stadtgeschichte ablesbar zu machen.

Vorbild Innenstadtentwicklung nicht fortgeführt Überhaupt wundert man sich, warum die großartige und (inter-)national gelobte Memminger Innenstadtentwicklung um Schrannen-/Elsbethenplatz und Fußgängerzone nicht als Vorbild dient für die Entwicklung des Bahnhofareals und statt dessen eine Vorgehensweise präferiert wird, die schon beim Maxi-Center in den 70er Jahren zur Realisierung eines bis in unsere Tage schwierigen Stadtbausteines geführt hat. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, dass die Ten Brinke Group Ende vergangenen Jahres ihr noch im Bau befindliches Fachmarkt-Zentrum auf dem Forettle-Areal in Kaufbeuren bereits wieder an einen internationalen Fonds-Betreuer weiterverkauft hat. Soviel zur Ortsverbundenheit und dem tatsächlichen Interesse auswärtiger Investoren an einer nachhaltigen Stadtentwicklung.

Verzicht auf externe Beratung Sicherlich hätte ein Gestaltungsbeirat, den sich die Stadt Memmingen im Gegensatz zu Kempten, Kaufbeuren und Sonthofen (noch) nicht leistet, rechtzeitig zum Vorgehen in Sachen Bahnhofsareal konstruktive Empfehlungen ausgesprochen. Ein noch während der entscheidenden Stadtratssitzung ins Gespräch gebrachter Antrag, ein projektbezogenes externes Beratungsgremium zu installieren, wurde knapp abgelehnt. Auch zwei öffentliche Vorträge des architekturforum allgäu, die im vergangenen Jahr deutlich auf die Problematik der praktizierten Vorgehensweise hingewiesen haben, verhallten leider ungehört. Schade, denn Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert sollte im Sinne von Jan Gehl anders angegangen werden, nämlich von 'unten und innen' und zukünftig auch in Memmingen wieder Berücksichtigung finden. 

Nutzflächen Ten Brinke Group Gesamt 11 506 m2, davon Wohnen 769 m2

März 2018


Stadtansicht von Osten mit altem Bahnhof und klassizistischen Gebäuden im Quartier

Jan Gehl, Städte für Menschen, 2011

Maxi-Center an der Ecke Bahnhof- / Maximilianstraße, eröffnet 1978 - akueller Name: Maxx-Forum

Investoren-Vorschlag für das Bahnhofsareal ACTIV-Group, Schemmerhofen 2018

Gewählter Investorenvorschlag für das Bahnhofsareal Ten Brinke Group, Varsseveld (NL) 2018