Stiefkind Gewerbegebiet
randnotiz 19

Datum
13.04.2018

Gewerbegebiet im Allgäu

'Do muas ma halt amol durch', so der Kabarettist Gerhard Polt lakonisch zu den Gewerbegebieten in seiner 'Wegbeschreibung', die es zu passieren gilt, bis man in 'Fast wie im richtigen Leben' seine Reihenhausanlage im Grünen erreicht - eine treffende Charakterisierung der unzähligen Industrieareale, die sich landesweit in den letzten Jahren zumeist an den Siedlungsrändern am Übergang zur freien Landschaft ausgebreitet haben. Wesentlich beschleunigt wurde diese Entwicklung mit dem neuen Landesentwicklungsprogramm Bayern 2013, das zusammen mit seiner 2018 in Kraft tretenden Überarbeitung eine schrittweise Lockerung des sog. Anbindegebotes erlaubt. Dadurch können Gemeinden nahezu uneingeschränkt selbst entscheiden, wo in freier Landschaft sie ihre Gewerbegebiete platzieren wollen. 

Notwendiges Übel Normalerweise werden diese gebauten Strukturen als notwendiges Übel erachtet und ohne Gestaltungsanspruch und außenräumliche Qualitäten realisiert - Hauptsache, Grundstückspreise und Erstellungskosten sind niedrig und eine gute verkehrliche Anbindung ist gegeben. Resultat sind Konglomerate, die sich in unsere Landschaften fressen und eigentlich als Unorte empfunden werden. Nicht von ungefähr verlassen Beschäftigte Ihre Arbeitsstätten fluchtartig, um z. B. ihre Mittagspausen zu verbringen, die Verödung von Gewerbegebieten nach Feierabend und an Wochenenden spricht Bände.

Fehlende Aufenthaltsqualitäten Warum ist das so? Die Antwort ist einfach: Weil in Gewerbegebieten jegliche Aufenthaltsqualität fehlt. Monofunktionale Strukturen, meist mit einem Übermaß an Verkehrsflächen, kaum Durchgrünung, die Nicht-Existenz gemeinschaftlicher öffentlicher Räume und eine kunterbunte Vielfalt beim Einzelobjekt, von unmäßigen Werbeanlagen und Nebenbaukörpern ganz abgesehen. Man fragt sich als sensibler Zeitgenosse schon, welche Altlasten wir den nachfolgenden Generationen auf der grünen Wiese hinterlassen und ob denn nicht die für unser Wirtschaften notwendigen Flächen auch etwas nachhaltiger und verträglicher gestaltet werden könnten.

Vorbild Bregenzer Wald Im benachbarten Bregenzer Wald etwa wird genau darauf Wert gelegt - auch sprechen touristische Gründe für eine intakte Kulturlandschaft. Zwei Gedanken spielen hier eine zusätzliche Rolle: Einmal die Überlegung, dem absurden Grundstücks-Preiswettbewerb der Einzelgemeinden durch interkommunale Gewerbegebiete zu begegnen, bei denen die Gewerbesteuereinnahmen nach einem Schlüssel aufgeteilt werden oder zum anderen der schonende Umgang mit Grund und Boden etwa durch eine mehrgeschossige Bauweise. 

Studienarbeiten an der Hochschule Augsburg Zum ersten Mal in der deutschen Hochschullandschaft haben sich Architektur-Studierende der Hochschule Augsburg im Sommersemester 2016 Gedanken über eine qualitätvolle Konzeption eines Gewerbegebietes im Allgäu gemacht und sind dabei auf eine Reihe von Aspekten gestoßen, die einfach umzusetzen wären, wenn sich gesellschaftlich die Erkenntnis durchsetzen würde, dass es durchaus Sinn macht, Gewerbegebiete auch schön zu gestalten. Der schwäbische Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl spricht von einem 'in jeder Hinsicht bemerkenswerten Projekt', das 'eine völlig neue Planungsqualität für ein Gewerbegebiet darstellt. (...) Ein Gewinn für Schwaben', wenn in solch einer 'angemessenen, dem Ort geschuldeten Bescheidenheit gearbeitet wird.'

August 2017


Gewerbeflächenstudie Allgäu, 2015

Gewerbegebiet Kempten – Ursulasried > Franz G. Schröck Urbanitätszelle als temporäre Intervention für ein Mehr an Aufenthaltsqualität, 'Kempten Tracks' - Jahresprojekt des architekturforum 2007

Studienarbeit zu einem Gewerbegebiet im Allgäu an der HS Augsburg, SS 2016

Interkommunales Gewerbegebiet im Bregenzer Wald