Löwen-Stammtisch

Ort
Oy-Mittelberg
Datum
16.03.2018

Florian Aicher, Architekt:Anspruchsvoll und naheliegend


Historische Postkarte

Mal wieder: der “Löwen” in Oy-Mittelberg. Am vergangenen Samstag fand auf Einladung des ortsansässigen Bildhauers Robert Liebenstein und des architekturforum allgäu ein Stammtisch im dortigen Kurhaus statt und rund 100 Interessierte fanden sich ein - einige Ferngereiste, die Mehrheit aus der Gemeinde. 

Das allein ist schon bemerkenswert. Da ringt eine Gemeinde darum, was sie mit diesem außergewöhnlichen Haus im Ortszentrum anfangen soll – und das nicht einmal, nicht zweimal, sondern immer wieder und seit langem. Bei aller Differenz im Einzelnen wurde an diesem Nachmittag deutlich: Man schätzt in der Gemeinde den besonderen Wert dieses Gebäudes.

Auch das ist – leider immer noch – etwas Besonderes. Noch immer wird das Allgäu, gerade von der Fremdenverkehr-Werbung, in diesen Farben gemalt: grüne Wiesen und blaue Bergen und da ein Barockkirchlein und dort ein altes Bauernhäusle und über allem strahlt die Sonne. Dabei ist die Kulturlandschaft des Allgäu in stetem Wandel begriffen und hat im 20. Jahrhundert wichtige neue Impulse erhalten – Beispiel „Löwen“. Doch die Perlen, die man hierzulande besaß, hat man achtlos verschleudert – das Kinderheim von Welzenbacher, Postbauen Vorhoelzers, Werke von Fischer und Thiersch findet man in der Fachliteratur, vor Ort sind sie dem Erdboden gleichgemacht. Man achtet nicht, was man da hat –  die Präsenz von Prominenz beim Stammtisch am Samstag in Oy passt ins Bild.

Dabei ging’s durchaus zur Sache. Robert Lichtenstein führte engagiert durch den Nachmittag, unterstützt durch den jungen Maximilian an der Quetsche. Bürgermeister Theo Haslach referierte zum Stand der Debatte um das Haus, die nun bald ins zehnte Jahr geht. Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl gab einen Überblick über die Allgäuer Baukultur und zeigte die Bedeutung des „Löwen“ für die hiesige Baugeschichte auf. Dr. Dieter Weber machte mit dem Bau, dem Werk des Architekten und der Person Andor Akos vertraut – in den zwanziger Jahren einer der großen Namen im ländlichen Bauen Süddeutschlands. Bemerkenswert, dass Oy einst die wahrscheinlich größte Dichte an Akos-Bauten besaß und mit dem „Löwen“ eine Ikone dieser Baugesinnung; hier kam Akos seinem Ideal vom Bau als Gesamtkunstwerk nahe. 

Die Gemeinde hat mit diesem Erbe gerungen. Auf dem Weg lag die Neubesinnung auf die Ortsmitte und die Absicht, das Rathaus dort zu belassen. Auf dem Weg lag die Preisgabe des „Löwen“ und der Versuch, über einen Architekten-Wettbewerb zu einem Rathausneubau an dessen Stelle zu kommen. Auf dem Weg lag die Erkenntnis, dass was da herauskam, keiner in der Gemeinde wirklich mag. Wichtige Einsichten, die die Frage aufwerfen: Was tun?

Naheliegend, den „Löwen“ umzurüsten für ein neues Rathaus. Machbarkeitsstudien wurden angestellt, Kostenschätzungen eingeholt, Baufachleute konsultiert. Der seit 30 Jahren mit Denkmälern befasste Dr. Peter Fassl stellt fest: „Unter all den Bauten, die ich als Denkmäler gerettet habe, gehört der Zustand des Löwen vergleichsweise zum besten.“

Da liegt der Hase im Pfeffer. Die sehr angeregte Diskussion dreht sich um die Frage: Lässt sich dieses Gebäude sanieren? Heftiger Einspruch einer Reihe von Diskutanten, die sich als Bauleute vorstellten. Der Schimmel, die Feuchtigkeit, das kriege man nie weg; Sanierungskosten laufen immer aus dem Ruder; Brandschutz, Behindertengerechtigkeit, moderne Räumlichkeiten seien nicht hinzubekommen; ebenso wenig die Verbreiterung eines Gehweges um 2 Meter. Immerhin: Aus Respekt vor der besonderen Architektur befürwortet man Abbruch und Neubau, gleichartig und geringfügig versetzt.

Dem gegenüber führt Dr. Fassl eine Reihe gelungener Beispiele in Schwaben ins Feld, die besichtigt werden können; Beispiele für chemiefreie Gebäudesanierung werden genannt; ob die Kosten von Neubauten mehr Bestand haben, bleibt offen; ob ein Bauwerk, das ein Menschenalter auf dem Buckel hat, genauso wieder aufgebaut werden könne, wird bestritten (von der Sinnhaftigkeit ganz zu schweigen). Grundlegend aber gilt: unser Ort, unsere Identität, unsere Heimat – das sind Landschaft, Häuser, Geschichte. Geschichte der Häuser, Menschen in und mit den ihnen – das lässt sich nicht austauschen. 

Gerade ein so herausragendes Beispiel für die Baukultur einer Epoche, die zur Geschichte des Landes zählt wie jede andere auch, steht nicht einfach zur Disposition. Warum nicht tun, was nahe liegt: Das Haus auf heutigen Standard heben, es sinnvoll nutzen, und so einen lebendigen, geschichts-trächtigen und einmaligen Ort stärken!