Pressebericht

Ort
Kempten
Datum
20.12.2016

Das architekturforum allgäu auf Besichtigungsfahrt zu umgenutzten Bauernhöfen im Oberallgäu


Ehemalige Hofstelle in Freundpolz, Foto: Franz G. Schröck

.`Belebte Substanz` ist der Titel eines kurz nach seinem Erscheinen schon zum Standardwerk avancierten Buches über umgebaute Bauernhäuser im Bregenzer Wald (Autoren: Florian Aicher und Hermann Kaufmann) – auf hiesige Spurensuche nach `Belebter Substanz` begab sich das architekturforum allgäu zusammen mit einer Vielzahl von baukulturell interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen einer FreitagNachmittagExkursion, die als kostenfreie Rundfahrt zu umgenutzten Bauernhöfen im Oberallgäu führte.

Die sechs besuchten Stationen waren nach der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema des `Nicht mehr gebrauchten Bauernhofes`, die unlängst in der Tenne des Hörmann-Hofs unterhalb der Burgruine Sulzberg stattfand (wir berichteten), quasi der praktische zweite Teil der Veranstaltung.

Den Anfang machte ein Gebäude der Fam. Besler in Heiligkreuz - Kollerbach, das, schon 1593 als stifts - kemptisches Lehen erwähnt, jedoch 1917 in wesentlichen Teilen verändert wurde und daher nicht unter Denkmalschutz stand. Nach sorgfältiger Abwägung fiel der Entschluss, das Bauwerk für eine Wohnnutzung neu zu errichten und zwar in der Kubatur der ursprünglichen Hofstelle mit flach geneigtem Satteldach. Architekt Alfred Facchini aus Bad Hindelang gestaltete mit Beschränkung auf die zwei Hauptmaterialen verputztes Mauerwerk und Lärchenholz ein lichtdurchflutetes Gebäude mit vielen Anklängen an den alten Hof, wie beispielsweise dem unbeheizten Garagen- / Lagerbereich im Westen mit Auffahrt und großem Holzschiebetor.

Ebenfalls als großzügiges Einfamilienhaus genutzt wird eine ehemalige, denkmalgeschützte Hofstelle am Ortsausgang von Betzigau, allerdings wurden hier alle wesentlichen Bestandteile erhalten und behutsam von Architekt Franz Vogler aus Oberstdorf saniert. Ein neuer Eingang von Westen führt vorbei am ehemaligen Tennenraum, der vor allem von den Kindern der Familie als großzügiger Mehrzweckraum für alle möglichen, auch sportlichen Aktivitäten in Beschlag genommen wird. Im ehemaligen Wohnteil wurden die alten Holz-Sprossenfenster mit einer zweiten rahmenlosen Glasebene auf der Wandaußenseite ausgestattet und so ein Kastenfenster konstruiert, das den heutigen Erfordernissen gerecht wird. Ebenso simpel und dennoch wirkungsvoll ist der Einsatz der sog. Großeschmidtschen Wandtemperierung, bei der zwei eingeputzte Kupferheizrohre im Sockelbereich für Vor- und Rücklauf kostengünstig für ein angenehmes Raumklima sorgen.

In Bodelsberg findet sich neben der Kirche St. Georg das Wochenend- und Feriendomizil der Fam. Peter aus München. Hausherrin und Architektin Christine Peter sieht die Ertüchtigung der Altsubstanz als `work in progress´, also über die Jahre als schrittweises Vorgehen in einzelnen Etappen: so beispielsweise die Aktivierung des ehemaligen Kuhstalls mit seiner charakteristischen Kappendecke als großzügiger Versammlungsraum für Festivitäten oder als Arbeitsstätte. Der ehemalige Wiederkehr mit Satteldach wurde aufgrund des grabenförmigen Anschlusses an die angebaute Bergehalle des Nachbarn zugunsten einer neuen Ferienwohneinheit mit Pultdach abgetragen und mit einer durchgängigen Konstruktion aus tragenden Holzmehrschicht-Platten ersetzt. Im Zugangsbereich des Hofs entstand ein kleines Gartenrefugium, das zur direkt vorbeiführenden Straße mit einem Höhensprung die notwendige Distanz schafft.

Nächste Station der Besichtigungsfahrt war der `Michlhof`, ein zum Veranstaltungsgebäude transformierter Hof in Steufzgen, der von Architekt Hermann Hagspiel aus Kempten für die Fam. Heel als Dépendance des  `Waldhorn` umgebaut wurde. Die angenehme und stimmige Atmosphäre wird vor allem dadurch erzielt, dass das gesamte vorgefundene Altholz wieder verbaut wurde. Trotz neuer Befensterung für Fluchtwege im ehemaligen Tennenteil ist eine homogene Außenansicht durch eine durchlaufende Holzverschalung `auf Fuge` entstanden.

In Freundpolz bei Diepolz erwarb Prof. Peter Tausch vor Jahren kostengünstig einen 250 Jahre alten Flurküchenhof in traumhafter Panoramalage. Während der ehemalige Wohnteil als Holzblock-Konstruktion mit neuer Schindelfassade sich in seiner Ursprungsform darstellt, entstand im westlichen Bereich ein neuer Holzständerbau, der dunkel verschalt und mit großzügigeren Raumhöhen Platz bietet für Wohnen und Arbeiten im Atelier. 

Bei Einbruch der Dämmerung erreichte die Exkursionsgruppe einen ehemaligen Stadthof im Hanfwerkeviertel in Immenstadt, der nach Aussage von Wolfgang Kreuzer (die Sozialbau) Ende der 80er Jahre abgerissen werden sollte. Auf Initiative des Bauherren wurde die stattliche Hofstelle statt dessen mit einer knappen Abstimmungsmehrheit im Immenstädter Stadtrat erhalten und präsentiert sich nach Fertigstellung im Jahr 1993 immer noch als schlüssiges und beliebtes Mehrfamilienhaus. Mit seinem Erstlingswerk schuf Architekt Prof. Andreas Hild 14 Sozialwohnungen, davon im früheren Stallteil vier erdgeschossige 2-Zi Wohnungen mit darüber liegenden vier Maisonettwohnungen, die über das frühere Treppenhaus und einen Laubengang erschlossen werden. Im Sinne seiner Ausbildung als `Analoger Architekt` verwendete Hild typische Bauernhofelemente wie Schiebetore, Blumenkästen und Streckmetall-Rankgerüste und ging sehr behutsam mit der Farbgestaltung des Gebäudes um.

Fazit: Es lohnt sich, den alten Bauernhöfen im Allgäu verstärkt Beachtung zu schenken und diese aufgrund Ihrer Bedeutung als feste Bestandteile der Allgäuer Kulturlandschaft in Ihrer Substanz zu bewahren und einer sinnvollen Weiternutzung bei gleichzeitiger Sensibilität für Material, Form und Farbe zuzuführen. Das architekturforum allgäu plant, die Reihe der FreitagNachmittagExkursionen im Frühjahr mit weiteren Fahrten zu umgenutzten Bauernhöfen in die übrigen drei Allgäuer Landkreise fortzusetzen.

fs/ 16.10.16