Triste Ortsränder – funktionslose Ortsmitten
randnotiz 16

Datum
30.04.2015

Traditionelle Dorfstrukturen sind in der Auflösung begriffen

»Wir haben verlernt, Städte und Dörfer zu bauen«, so kürzlich das vernichtende Urteil des Dokumentarfilmers Dieter Wieland, der vor Jahren mit seiner Reihe »Topographie« im Bayerischen Rundfunk Fernsehgeschichte schrieb. Gerade mit Blick auf die heutige Ausbildung unserer Dorfränder und unserer Ortsmitten bestätigt sich dieser Vorwurf leider häufig auch im Allgäu. Dorfränder Während der vergangenen Jahrhunderte waren Dorfränder geprägt vom sensiblen Übergang zwischen Bebautem und Unbebautem. Über eine geschickte Einbettung in die Topographie, das Bauen »mit dem Wetter«, sprich mit den örtlichen klimatischen Bedingungen und einer oftmals geschickt gestaffelten Vegetation erfolgte eine harmonische Verzahnung, ein fließender Übergang zum freien Landschaftsraum.Leider ist diese Sensibilität heutzutage nahezu gänzlich verloren gegangen. Großmaßstäbliche Verbrauchermärkte mit ausgedehnten Asphaltflächen wuchern am Ortsrand, belanglose, austauschbare Gewerbegebiete ohne Aufenthaltsqualität werden hier genauso lieblos angesiedelt wie diverse Sondernutzungen (u.a. Gebäude für Feuerwehr, Blaskapelle, Schützen), für deren Erreichbarkeit immer ein Auto vonnöten ist. Ganz zu schweigen von Neubaugebieten mit ihren Grüntensteinmauern, Thuja-Stauden und Wendehammern, die eine allzu deutliche Zäsur zur Landschaft markieren. Dorfmitten Ähnlich verhält es sich bei vielen Allgäuer Dorfmitten. Historisch betrachtet verdichteten sich hier die öffentlichen Funktionen in Gebäuden wie Kirche, Pfarrhaus, Schule, Rathaus und Wirtshaus – zudem gab es in fußläufiger Entfernung die wichtigsten Läden für den täglichen Bedarf. Ein Platz bildete die soziale Mitte, hier fand das Dorfleben unter bewusst gesetzten Großbäumen – Stichwort: Dorflinde – statt. Und heute: die meisten der vorgenannten Funktionen existieren nicht mehr oder sind an den Dorfrand gewandert, die Mitte blutet aus, was in Zeiten des demographischen Wandels geradezu fatal ist. Nebenbei betrachtet werden an den Rändern immer aufwändige Versorgungs- und Erschließungsmaßnahmen erforderlich, während in der Dorfmitte die entsprechenden Systeme veralten. Fallbeispiel Sulzberg Exemplarisch stellt sich diese Problematik derzeit in Sulzberg dar: der Baubestand der gesamten Ortsmitte steht mangels geeigneter Nutzungen zur Disposition. Der Gemeinderat hat dabei bereits beschlossen, das Rathaus aus den 80er Jahren abzureißen. Drei weiteren ortsbildprägenden Bauwerken am Dorfplatz droht das gleiche Schicksal. Darunter das bedeutende ehemalige Benefiziatenhaus von 1820, dem das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege »wegen seiner Lage im historischen Ortskern und seiner Nutzungsgeschichte eine ortgeschichtliche Wertigkeit« bescheinigt. Nicht nur aus Sicht des architekturforum allgäu wird ein schlüssiges Gesamtkonzept besonders hinsichtlich der künftigen Nutzungen am Dorfplatz vermisst, das zusammen mit der Bevölkerung erarbeitet werden sollte. Stattdessen fallen isolierte Einzelentscheidungen ohne gebührende Information der in Sulzberg durchaus sehr interessierten Öffentlichkeit. Eigentlich eine Jahrhundert-Weichenstellung, bei der die ernsthafte Gefahr besteht, dass diese vertan wird.Wir empfehlen daher dringend zunächst die Erarbeitung der gewünschten Anforderungen über eine entsprechende Bürgerbeteiligung und die Klärung der städtebaulichen Situation über ein Wettbewerbsverfahren, ehe Aufträge zur Umsetzung einzelner Gebäude vergeben werden. Nur durch eine wohlüberlegte langfristige Betrachtung ist sicherzustellen, dass die Identität Sulzbergs Bestand hat und mit einer unverwechselbaren Atmosphäre für zukünftige Generationen erlebbar gemacht wird. April 2015




Bildlegenden: Von oben nach unten: Ortsrand Lauben, Ortsrand Dietmannsried und Ortsmitte Blaichach