Beschlossener Abriss des Hotelgasthof "Löwen" in Oy 
randnotiz 10

Datum
24.06.2013

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Es ist ein herber Verlust für die Allgäuer Kulturlandschaft, wenn ein derartig bedeutendes Bauwerk eines der angesehensten Architekten seiner Zeit in unserer Region dem Erdboden gleich gemacht werden soll. Gilt das altehrwürdige Gebäude, in seiner heutigen Form nach den Plänen von Andor Àkos (gemäß Werkverzeichnis Nr. 26) 1930 erbaut, doch nach unabhängiger Expertenmeinung als „einer der schönsten im Allgäuer Landhausstil ausgeführten Gasthöfe, bei dem auch die komplette Inneneinrichtung vom Architekten entworfen wurde. Die Gestaltung der Fassaden verbindet die regionale Bautradition mit Elementen des Neuen Bauens der 20er Jahre. Das Gebäude stellt wegen seines Erscheinungsbildes und des Standortes einen dominanten Baukörper im Ortskern dar und ist deshalb als ortsbildprägend eingestuft.“ Nahezu ein Gesamtkunstwerk also vom Städtebau bis zum Interieur, ein wertvoller Zeitzeuge mit Charakter und Atmosphäre. Eine insofern nicht erfolgte sorgfältige Untersuchung der Sanierungsmöglichkeiten vor einer endgültigen Entscheidung des Gemeinderates zur Zukunft des Gebäudes lässt unserer Ansicht nach nicht nur kulturelle und geschichtliche Sensibilität vermissen, sondern grenzt ebenso an wirtschaftliche Verantwortungslosigkeit. Leider ist es in unserer Region noch immer Gang und Gäbe bedeutende historische Bauwerke „mit einer Seele“ der Abrissbirne zu opfern – nach dem Motto ’weg mit dem alten Glump’. Ein Blick über die Landesgrenzen nach Tirol oder in den Bregenzer Wald lässt erkennen, dass hier sehr viel respektvoller mit solchen Dingen umgegangen wird, ja über das behutsame Bewahren und zeitgemäße Weiterbauen in den alten Ortskernen eine individuelle Identität geschaffen wird, die sich – neben der unmittelbaren Lebensqualität für Einheimische – auch finanziell in touristischer Hinsicht rechnet. Unverständlich ist zudem, dass diejenigen Entscheidungsträger, die bei allen anderen Gelegenheiten immer auf Tradition pochen, in Fällen wie dem Hotelgasthof „Löwen“ – aus welchen Gründen auch immer – überstürzt Abbruchentscheidungen fällen, die schmerzhafte Leerstellen hinterlassen. Exemplarisch sei an dieser Stelle der Abriss der Ortsmitte in Blaichach mit „Reichsadler“ und Bahnhof genannt, der bis heute nicht nur bauliche, sondern vor allem soziale Lücken im gesellschaftlichen Leben des Ortes hinterlassen hat. Auch das Entfernen von bedeutenden historischen Bodenrelikten – so geschehen am Kemptener Hildegardplatz -, die in anderen Städten als wertvolles Potential für eine kulturelle Identitätsstiftung und zugleich für eine touristische Entwicklung in Wirkung gesetzt werden, ist eine von vielen Situationen in einer langen Reihe, wo allzu sorglos mit dem baulichen Erbe in unserer Region umgegangen wurde. Auffallend ist, dass der Verlust von Geschichte und Authentizität bei uns gleichzeitig mit dem Bau von Scheinwelten, wie dem geplanten, sogenannten „Allgäuer Dorf“ bei Füssen einhergeht, die oberflächliche, einseitig auf wirtschaftlichen Profit ausgerichtete Pseudokopien einer nie da gewesenen Alltagskultur sind. Eine Sehnsucht nach Heimat muss es also geben. Am besten sucht und pflegt man diese aber in der Wirklichkeit. Positive Beispiele, wie wir geschichtlich Wertvolles behandeln sollten, gibt es zu Glück auch. Erwähnt seien hier die Öffnung und Sanierung der unterirdischen Erasmuskapelle am St. Mang-Platz in Kempten oder die seinerzeit ebenso vom Abbruch bedrohte Villa Jauss in Oberstdorf – beide heute mit ihrer überregionalen Ausstrahlung nicht mehr wegzudenken aus dem Kulturgut im Allgäu. Die Oyer Bürger und Verantwortlichen, die den Wert des „Löwen“ schätzen und in seinem Erhalt eine Chance für ihren Ort sehen, können wir nur ermutigen, weiter für eine vernünftige und qualitätvolle Sanierung zu arbeiten. Es muss ja nicht immer alles auf einen Schlag gehen. Im Gegenteil, viele schon totgesagte, heute beliebte, erfolgreiche und zudem preisgewürdigte Revitalisierungen, sind in kleinen, sorgsamen Schritten zu neuem Leben erweckt worden. Wir wünschen uns jedenfalls, dass diesbezüglich hoffentlich ein Umdenken stattfindet und so unsere gemeinsame Allgäuer Heimat nicht noch mehr Gesichtsverlust erleidet.

März 2013


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