Panorama Hotel Oberjoch
randnotiz 09

Datum
22.09.2012

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Kulturlandschaft Oberallgäu Das Oberallgäu ist eine Kulturlandschaft mit langer Tradition und daher ist hier Landschaft Identifikationsfaktor der Einheimischen sowie wichtigstes Argument für die Bedeutung der Region als Reiseziel. Der Tourismus profitiert im Oberallgäu gegenwärtig noch von einer Landschaft, die unter völlig anderen wirtschaftlichen Bedingungen als den heutigen entstanden ist und die es in der bisher vertrauten Form schon in wenigen Generationen nicht mehr geben wird. Inwieweit der Tourismus die ökonomische, ökologische und emotionale Bedeutung der Kulturlandschaft erkennt und bereit ist, dafür Verantwortung zu übernehmen, ist eine der spannendsten Fragen der nahen Zukunft.

Tourismus: Perspektiven „Mit gut fünf Millionen Ferienbetten, 120 Millionen Feriengästen und 500 Millionen Übernachtungen pro Jahr sind die Alpen eine der größten Tourismusregionen der Welt.“ (Werner Bätzing, Kleines Alpen-Lexikon). Die Tourismusindustrie prägt jedoch nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unsere Kultur – sie fordert und fördert großräumliche Entwicklungen, die sich durchaus auch als Fehlentwicklungen erweisen können. Die einheitliche Sterne-Kategorisierung der Hotellerie mit ihren seitenlangen Listen der zu erfüllenden Ausstattungskriterien sagt viel über die zu erwartende Ausstattungsquantität – aber leider nichts über die architektonische Qualität und noch weniger über die Einbindung in das gesamte Ortsbild aus. Für immer mehr Touristen bedeutet eine zeitgemäße Gestaltung erhöhtes Wohlbefinden, denn nachweislich steigen mit zunehmender Bildung die ästhetischen Ansprüche. Dies trifft insbesondere auf die Angehörigen der höheren Einkommensgruppen zu, die für jede Tourismus-Destination zu den begehrten Gästen gehören.

Dörfer, die ihre Seele verlieren In Gemeinderäten werden planerische und bauliche Entscheidungen oft ohne langfristige touristische und städtebauliche Konzepte gefällt, selbst wenn sie von größter landschaftsprägender Relevanz sind. Wenn spürbar wird, dass die Übernachtungszahlen in der Gemeinde zurückgehen, ist man alarmiert. Dann aber wird mit „Schnellschüssen“ reagiert: ein Vier-Sterne-Hotel muss her. Das geforderte Gesamtkonzept der Orts- und Tourismusentwicklung wird meist nicht oder nur mit kurzfristig beauftragten Konzepten als notwendiges Übel abgehandelt. Die Marktgemeinde Bad Hindelang wollte einen potentiellen Investor nicht verlieren und genehmigte im März 2010 trotz erheblicher Bedenken und Einwände der Einheimischen ein ca. 12.000 m2 großes, kasernenartig geplantes Hotelprojekt im kleinen Ortsteil Oberjoch. Die kritische Beurteilung durch Fachleute, Einheimische und Touristen, dass „Siedlungen, wie der Ort Oberjoch, ihren dörflichen Charakter durch den Bau großer Hotels und touristischer Infrastrukturen stark veränderten“ (Andreas Güthler „Allgäu im Wandel“, 2006) wurde ignoriert. Im Jahr 2006 erschien eine ausführliche Untersuchung von Markus Pingold „Wahrnehmung und Bewertung des Landschaftswandels in Bad Hindelang im Allgäu“, in der ein Einheimischer feststellt, dass das Ortsbild von Oberjoch am schlimmsten betroffen sei, weil massive, große Gebäude auf einen kleinen Ort träfen. Ein anderer Befragter wurde in seiner Äußerung sehr konkret und nannte die Oberjocher Großbauten einen landschaftlichen Stein des Anstoßes. „Solche Klötze müssen nicht sein! Das ist nicht landschaftsverträglich. Das kann natürlich sein, dass ein Kaufmann sagt, ‚Es muss so in dieser Größenordnung sein, sonst kann man kein Geld verdienen.‘ Aber schön ist es nicht. Also die Ästhetik leidet.“ Max Hillmeier, der Kurdirektor von Bad Hindelang, stellt in der Studie fest: „Wir haben sicherlich mit dem Ökomodell eine unheimliche Philosophie (...) gehabt. Wir haben sie jetzt natürlich immer noch, aber sie ist (...) verwässert worden (...) mit den Bergbahn-Investitionen. Aber hinter denen stehe ich voll – das ist nur in der Öffentlichkeit schwierig. (…) Ich glaube, Tourismus ganz ohne Technisierung geht nicht, man muss dann ganz einfach auch bestimmte Teile der Landschaft wie das Oberjoch dafür bereit stellen.“

Fazit Das architekturforum kritisiert den städtebaulichen wie architektonischen Eingriff in das Bergdorf Oberjoch durch den Hotelneubau. Um weitere derart landschaftlich unverträgliche Eingriffe zu vermeiden, ist eine offene und kritische Debatte um die weitere Entwicklung der touristisch baukulturellen Infrastruktur im Oberallgäu wünschenswert. Das ästhetische Erscheinungsbild der Ortschaften wird in Zukunft immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses rücken – und rücken müssen. Wir brauchen mehr Diskussionen mit Einheimischen und auch Gästen. Es gibt kulturelle und anthropologische Grundregeln der Wahrnehmung, der Bewegung und des Erspürens von Raum, die berücksichtigt werden sollten. Immer mehr Touristen werden durch öffentliche Architektur-Diskussionen und eigene Anschauung sensibler hinsichtlich Architektur und Ambiente. Hier sind innovative, wohl durchdachte Konzepte gefordert, um die Tourismusregion Allgäu nicht langfristig zu gefährden.

Hinweis:

Alle bisher veröffentlichten Randnotizen incl. Sammelmappe werden auf Anforderung kostenfrei abgegeben.


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