Nordspange - ein neues Stück Stadt-Landschaft entsteht
randnotiz 04

Datum
04.06.2012

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Die Frage, ob die Nordspange verkehrsfunktional und für die Stadtentwicklung sinnfällig ist oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden. Darüber wird an anderen Stellen ausführlich gestritten. Gefragt wird, welche Wirkungen der nördliche Brückenschlag über die Iller für die räumliche und kulturelle Qualität im gelebten Alltag unserer Stadt haben könnte? Mit der Nordspange wird in Kempten ein neues Stück Stadt oder besser gesagt ein neues Stück „Stadt-Landschaft“ entstehen. Mit Stadt-Landschaft sind Bereiche gemeint, die städtische und zugleich ländliche bzw. naturräumliche Elemente aufweisen. Beispielsweise werden dort weiterhin Landwirte die Wiesen bewirtschaften währenddessen in unmittelbarer Nähe High-Tech-Betriebe Produkte für den globalen Markt herstellen und nur einen Steinwurf davon entfernt ein Biber die Nebenbäche in den Illerauen aufstaut. Gebiete wie diese sind charakteristisch für unsere heutige Siedlungsentwicklung. Ihre räumliche Gestalt entsteht in der Regel zufällig im Zuge von technischen und funktionalen Notwendigkeiten, die wiederum ökologischen Ausgleich erfordern. So geschieht es auch in diesem Bereich von Kempten. Die neue Brücke, die auf dem Land in erster Linie als großes, blockierendes Dammbauwerk und über dem Fluss als Betonplatte erlebt werden wird, ist als reine Verkehrsinfrastruktur geplant. Da die Gewerbeflächen im Stadtgebiet knapp sind, werden hier die neu entstehenden Bereiche für gewerbliche Nutzung vorgesehen. Verbunden damit müssen die nicht unerheblichen technisch-baulichen Eingriffe mit der „Natur“ durch den Umbau der Iller in eine Auenlandschaft ökologisch versöhnt werden.

Nachhaltige Entwicklung von Lebensraum statt einseitiger Funktionalisierung Die große Frage ist – nicht nur aus städtebaulich-architektonischem Blickwinkel, sondern vor allem wenn es um alltägliche Lebensqualitäten geht: Kann eine der größten baulichen Veränderungen in Kempten in den letzten Jahrzehnten einen Mehrwert über den momentan angestrebten Zweck hinaus haben, um wirklich nachhaltig wertvoll für die Bevölkerung zu sein? Kann diese Stadt-Landschaft an der Nordspange räumlich gestaltet werden? Möglicherweise als ein Stadt-Landschafts- Park, in dem vielfältige, städtische Nutzungen wie Wohnen und Arbeiten mit Landwirtschaft, Natur und Naherholung als unterschiedliche Lebensbereiche in einem großen Garten Gestalt finden? Das könnte konkret heißen: … Gebrauchsräume für vielfältige Situationen der Arbeit und der Frei zeit. Gerade für eine Gesellschaft wo sich Familie, Beruf und Erholung immer komplexer verweben und überlagern … Öffentliche Räume für Kommunikation und Austausch zwischen den Gebäuden, entlang der Iller und bei der Brücke … Lebensräume auch auf und unter der neuen Brücke, in den Straßen und auf den Wiesen statt Nicht-Orte, Schleusenräume und Abstandsflächen … Sinnliche Räume, die – über eine funktional-technische Umsetzung hinausgehend – durch eine bewusst ästhetische Gestaltung der Landschaftsformation entstehen. Wie sind Dämme, Ebenen, Ränder, Brücken und Unterführungen in ihrer räumlichen Wirkung erlebbar? Welche baulichen Elemente können zu Landmarken werden? Ist in der Bewegung beim Überbrücken der Iller, beim Verweilen an den Ufern oder auf den Wegen und Straßen Weite, Enge, Höhe oder Tiefe spannungsvoll zu spüren?

Neues Verständnis von städtischem Raum als Gewebe aus Arbeit, Wohnen und Erholung Die Gestaltung der Nordspange wäre zuallererst eine kulturelle Aufgabe, die als „Nebeneffekt“ die gewünschte Verkehrsfunktion mit sich bringt. Baukultur und Kulturlandschaft könnten dann gerade hier einen „weichen Standortfaktor“ und ein „Alleinstellungsmerkmal“ gegenüber konkurrierenden „Gewerbe“-Gebieten schaffen. Anknüpfungspunkte sind vorhanden. Die neu entstehenden Illerauen, das Projekt „Iller erleben“ flussaufwärts, der bei der Bevölkerung beliebte Illerwanderweg, der alte Stiftsbleichehof, der gerade zu neuem Leben erweckt wird oder ein mit dem Baupreis prämierter Park eines Kemptener Unternehmens.Die beschriebenen Raumqualitäten könnten von der öffentlichen Hand beeinflusst werden. Ein „Plan“ allein wird diese allerdings nicht erzeugen können. Solche Qualitäten sollten als grundsätzliche Vorstellung entwickelt werden, flexibel genug um die Zeit zum Verbündeten zu erhalten, bereichernd, um die Bevölkerung als Akteure zu gewinnen und kräftig genug, um wirklich zu werden. Vielleicht kann eine die Stadtgrenzen überschreitende Kemptener-Oberallgäuer Landesgartenschau hierfür einen Impuls setzen?

Februar 2012


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