Vertane Chancen bei zwei wichtigen Neubaugebieten
randnotiz 02

Datum
02.06.2012

Mit Sorge betrachtet das architekturforum die Gestaltung von Neubaugebieten im Stadtgebiet. Leider werden gerade in jüngster Zeit bei der Ausweisung von neuen Baugebieten die jeweils vorgefundenen Besonderheiten der Grundstücke – vor allem in historischer und topografischer Hinsicht – nicht gewürdigt. Statt dessen wird die übliche Abfolge Haus – Garage, Haus – Garage in den Bebauungsplänen festgeschrieben mit dem Argument, damit die sehr starke Nachfrage nach Grundstücken für Einfamilienhäuser zu bedienen. Besonders schmerzt die Anwendung dieses Schemas bei den Baugebieten Saarlandstraße und Kloster Lenzfried. Das Baugebiet Saarlandstraße liegt auf einem markanten und von vielen Stellen einsehbaren Geländesporn. Gerade bei diesen außergewöhnlichen topografischen Gegebenheiten wäre es angebracht gewesen, über alternative Bebauungsformen nachzudenken. Besondere Orte verlangen nach besonderen städtebaulichen Antworten mit entsprechenden außenräumlichen Qualitäten – oder sie verlieren ihre Identität. Noch mehr ins Auge sticht dieses Vorgehen beim Neubaugebiet auf dem Klostergelände in Lenzfried. Hier wird auf die Geschichte dieses kontemplativen Ortes mit seinem historischen Ensemble einschließlich Gesamtgartenanlage und Umfassungsmauer, das über Jahrhunderte gewachsen ist und bis 2009 entsprechend genutzt wurde, nicht eingegangen. Stattdessen wird dieser spezifische und damit schützenswerte Ort in seiner Besonderheit durch die profane Einfamilienhaus-Bebauung mit der zu erwartenden Heterogenität sehr stark in Mitleidenschaft gezogen werden.

Durchdachter Städtebau wichtiger als Einzelobjekt

Sind die Rahmenvorgaben für ein Neubaugebiet über einen Bebauungsplan erst einmal zementiert, vermag auch die beste Einzelarchitektur das Gesamtgefüge des Viertels nicht zu verändern. Umgekehrt kann eine sehr gute städtebauliche Grundstruktur mühelos auch einmal ein schlechteres Einzelobjekt vertragen. Deshalb ist der Festlegung städtebaulicher Grundzüge in der höchstmöglichen Qualität zu aller erst Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser entscheidenden Weichenstellung zugrunde zu legen ist eine ausführliche Analyse des jeweiligen Ortes und seiner Einbettung in die ihn umgebende Struktur. Erst daraus resultierend kann dann ein durchdachtes Siedlungskonzept entwickelt werden, das im Weiteren für die einzelnen Bauprojekte die Rahmenbedingungen vorgibt.

Authentische Orte statt Siedlungsbrei

Wir hoffen, dass sich eine derartige Herangehensweise bei der Ausweisung kommender Baugebiete mehr und mehr durchsetzt, geht es doch darum, authentische Orte zu schaffen statt austauschbaren Siedlungsbrei, der aufstösst – und das übrigens im ganzen Allgäu. Die Stadt Kempten (Allgäu) hat sich zu Beginn des Jahres 2012 dazu entschieden, für das ausgedehnte Neubaugebiet „Auf der Halde“ einen anderen Weg zu beschreiten und einen städtebaulichen Wettbewerb auszuloben, was einen begrüßenswerten Schritt in die richtige Richtung darstellt. Bereits im Vorfeld haben Studententeams der Fachhochschule Würzburg das Areal unter die Lupe genommen und Bebauungsvorschläge erarbeitet.

Mai 2011/März 2012