Neue Bundesländer
Jahresexkursion 2009

Datum
01.06.2009

Die Jahresexkursion des Architekturforum Kempten führte heuer nach Leipzig und Dresden,


und zwar erstmalig zusammen mit dem Architekturforum Memmingen, das einen großen Teil der Vorbereitungen für die 4-tägige Reise übernahm. Die Anfahrt nach Leipzig erfolgte über den sog. Südraum, in dem ausgedehnte Gebiete des ehemaligen Braunkohletagebaus seit einigen Jahren Stück für Stück in einen Seenverbund als Freizeitlandschaft umgewandelt werden. Nach der obligatorischen Besichtigung des Völkerschlachtdenkmals konnte die Unterkunft in unmittelbarer Nähe der Nikolaikirche bezogen werden, einem Ort, an dem vor knapp 20 Jahren mit den Montagsgebeten eine der Keimzellen der friedlichen Wende entstand, die letztlich das Ende des Ostblocks einläutete. Eine abendliche Stadtführung durch die kompakteste Innenstadt Deutschlands endete mit einem gemeinsamen Abendessen in Goethes Auerbachs Keller. Am folgenden Tag besuchten die Exkursionsteilnehmer die Neue Messe Leipzig der Architekten Gerkan, Marg und Partner, mit der vor den Toren der Stadt eine erfolgreiche Wiederbelebung des traditionsreichen Messestandorts gelang. Prof. Rambow führte als ehemaliger Projektleiter des Kooperationsbüros Ian Ritchie und zeigte im Speziellen die imposante 250 m lange, bogenförmige Glashalle als Herzstück der grünräumlich sehr schön eingebetteten Anlage. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Messe befindet sich das BMW Werk Leipzig, dessen Gestaltung von Zaha Hadid 2005 mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde. Das Zentralgebäude als Verbindung der Kernfertigungsbereiche Karosseriebau, Lackiererei und Montage macht das Produktionsgeschehen dadurch augenscheinlich, dass die Förderbänder mitten durch die dortigen Büroebenen führen. Nach Vorstellung und Rohbaubesichtigung des sog. Gondwanalandes im Zoo Leipzig, einer riesigen Tropenhalle der Urkontinente Asien, Afrika und Südamerika führte Architekt Ansgar Schulz durch das Wolkenlabor im Institut für Troposphärenforschung. Das Büro Schulz und Schulz, das auch für den Neubau der staatl. Realschule Memmingen verantwortlich ist, überzeugte die Teilnehmer mit einer pragmatischen, aber dennoch vielschichtigen Haltung, die mit dem Leipziger Architekturpreis 2007 belohnt wurde. Den Abschluss des zweiten Besuchstages bildete die Galerie für zeitgenössische Kunst von as-if – Architekten im Musikviertel, die durch die Verschieblichkeit aller Innenwände eine Vielzahl von individuellen Ausstellungskonfigurationen bietet. Beispiele der neuen Leipziger Schule konnten am Folgetag im Museum der Bildenden Künste (Hufnagel, Pfütz, Rafaelian) in Augenschein genommen werden: der Neubau am Rande der Leiziger Innenstadt wartete zwar mit spannenden innenräumlichen Verschränkungen auf, erschien aber insgesamt unangenehm überproportioniert. Zeitgleich nahm ein Teil der Exkursionsgruppe an einer Baustellenführung durch das Paulinum im Hochschulcampus Innenstadt teil; der Niederländische Architekt Erik van Egeraat versucht sich hier mit Anklängen an die historische Universitätskirche St. Pauli, die vom SED – Regime 1968 gesprengt wurde. Im Rahmen des nachmittäglichen Besuchsprogramms führte Architekt Volkmann durch das kürzlich eröffnete jüdische Gemeindezentrum und sein eigenes Büro im wieder hergerichteten Stelzenhaus des ehemaligen Industrieviertels Plagwitz. Die Umnutzung der früheren Buntgarnwerke in großzügige Loftwohnungen und sehr atmosphärisches Wohnen am Wasser des Karl-Heine - Kanals stellte der gebürtige Augsburger Architekt Gregor Fuchshuber vor. Einen großen Kontrast hierzu stellte zum Abschluss des Tages die Besichtigung der Plattenbau-Anlage Grünau dar. Konzipiert 1974 als `Siedlung der 100 000` erfuhren die Teilnehmer von kompetenter Seite über den heutigen Umgang mit der ausgedehnten Bausubstanz und deren Außenräumen bei einem gleichzeitigen Bevölkerungsschwund von ca. 30 %. Wegen der ansprechend geschnittenen Wohnungen, einer sehr guten infrastrukturellen Ausstattung und verkehrstechnischen Anbindung sowie Durchgrünung ist die Siedlung nicht zuletzt durch den anstehenden Umbau des angrenzenden Lindenauer Hafens nach wie vor sehr beliebt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in Leipzig eine gut durchdachte, gesamt-städtische Entwicklung stattfindet, die neben der Integration von hochwertigen Neubauten in besonderem Maße auf den Fortbestand seiner historischen Substanz setzt und sich durch die Schaffung einer eigenen Identität mehr als jede andere ostdeutsche Stadt als zukunftsfähig erweist.

Die Heimfahrt führte über Sachsens Landeshauptstadt Dresden, wo nach einer Stadtrundfahrt durch das historische Zentrum eine Besichtigung der neuen Synagoge von Wandel, Lorch, Hirsch auf dem Programm stand, die den alten Semper - Bau, der 1933 der Reichsprognom - Nacht zum Opfer fiel, in moderner Formensprache ersetzte; aufschlussreiche Einblicke in jüdisches Leben und Religionsausübung konnten gewonnen werden. Ein Rundgang durch das nahezu vollständig rekonstruierte historische Zentrum einschließlich Frauenkirche von Georg Bähr hinterlies einen zwiespältigen Eindruck. Die Wunden des Krieges scheinen zwar getilgt, eine zeitgenössische Haltung wurde aber zugunsten einer großflächigen Musealisierung der Innenstadt nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.