Die gestalterischen Grenzen der Nachverdichtung
randnotiz 37

Datum
10.03.2024


Publikation der Bundesstiftung Baukultur 2018

'In Deutschland wird zuviel Fläche verbraucht, ein Großteil davon in kleineren Städten und ländlichen Gemeinden für Einfamilienhaus- oder Gewerbegebiete mit ihren Verkehrswegen. (...) Gehen Bodenversiegelung und Überplanung ungebremst weiter, verfehlt Deutschland nicht nur seine Flächenverbrauchs-, sondern auch seine Klimaziele. Naturräume gehen ebenso verloren, wie Kulturlandschaften, gewachsene Ortsbilder und zuletzt Heimat.' (Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur im Vorwort zu 'Besser Bauen in der Mitte')

Trotz der unbestrittenen Positiv-Beispiele auch in unserer Region hat das in Zeiten der Klima-Katastrophe unbedingt angebrachte Flächensparen durch Nachverdichtungs-Maßnahmen - Stichwort: Innen statt Außen - seine Grenzen. Immer dann, wenn dabei kein rechtlich bindender Bebauungs-Plan existent ist, gilt in Deutschland § 34 Baugesetzbau (BauGB), der eine Orientierung an 'Art und Maß' der Umgebungsbebauung vorschreibt. Meist wird genau dies aus rein juristischer Sicht von den zuständigen Genehmigungsbehörden beurteilt und nicht aus einem übergeordneten gestalterischen Blickwinkel, was aber unabdingbar ist. Kreisbaumeister und Gestaltungsbeiräte - so vorhanden - können hier wertvolle Beurteilungen liefern und vermögen fachlich einzuschätzen, ob eine verträgliche Einfügung der geplanten Nachverdichtung gegeben oder das Gegenteil der Fall ist. Nachfolgend zwei Beispiele jüngeren Datums aus dem Oberallgäu und aus Kempten:

Fallbeispiel Fany - Villa, Immenstadt

Das weithin sichtbare, steile Hanggrundstück der ehemaligen Farny-Villa am Immenstädter Kalvarienberg mit altem Baumbestand und schützenswerter Flora wird derzeit von einem Investor überplant, der nach Ansicht vieler Menschen mit ursprünglich 41 Wohneinheiten weit über das Ziel einer behutsamen Nachverdichtung hinausgeschossen ist. Nach anhaltender Kritik aus der Bevölkerung wurde nachgebessert und die Baumasse inzwischen geringfügig reduziert, ein vorhabenbezogener B-Plan ist derzeit in Arbeit. Interessant im Immenstädter Fall: Nachdem der Stadtrat jahrelang dem Prinzip der Zersiedlung gefolgt ist - siehe beispielsweise die Baugebiete am Alpsee oder die als grenzwertig zu bezeichnende Erweiterung Akams - scheint er jetzt in das andere Extrem umzuschwenken und überzogene Nachverdichtungen gut zu heißen.

Fallbeispiel Am Steinbruch, Kempten - St. Mang

Statt eines inzwischen abgebrochenen Einfamilienhauses aus den 70er Jahren planen Laupheimer Investoren im Kemptener Süden ein Mehrfamilienhaus mit 17 Wohneinheiten und 4 Vollgeschossen auf dem etwa 1200 m2 großen Grundstück - womit es sich nach Ansicht der Bauverwaltung gerade noch in die nähere Umgebung einfüge. Die entsprechende Bauvoranfrage wurde vom Bauausschuss 2021 befürwortet, ohne dass zuvor ein Ortstermin stattgefunden hätte. Nicht ohne Grund gibt es in der Schweiz die Vorgabe, dass bei allen Baumaßnahmen im Zuge des Genehmigungsverfahrens ein Phantomgerüst aufgestellt werden muss, damit sich nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern vor allem auch die Entscheidungsträger selbst ein realistisches Bild vom Ausmaß des Vorhabens machen können. Immer noch unberücksichtigt bleibt übrigens im Fall St. Mang die Standsicherheit der südlichen Felswand des bekannten Minigolf - Sand-Steinbruchs, der im Sommer 2022 vom Landesamt für Umwelt offiziell als Geotop eingestuft wurde. Wegen der Grenznähe der erforderlichen ausgedehnten Tiefgarage scheint dieses schützenswerte Naturdenkmal akut gefährdet. Jedenfalls wurde eine Nachbarschaftsklage gegen die Erteilung der Baugenehmigung Ende 2023 zwischenzeitlich vom zuständigen Verwaltungsgericht mit Hinweis auf reduzierte Abstandsflächen in der neuen Fassung der Bayerischen Bauordnung abgewiesen. Damit sticht wiederum die juristische Karte, während der schlüssige städtebaulich - gestalterische Kontext wie so oft außen vor bleibt.

März 2024


Fallbeispiel Areal der Farny-Villa Immenstadt, bereits reduzierte Variante des geplanten Bauvorhabens (Quelle: AAB)

Fallbeispiel Areal der Farny-Villa Immenstadt, Bestandsgebäude mit innerstädtischem Biotop (Foto: Franz G. Schröck)

Fallbeispiel Am Steinbruch, Kempten-St. Mang Bestand (Foto: Markus Hindelang)

Fallbeispiel Am Steinbruch, Kempten-St. Mang Baumasse des geplanten Bauvorhabens (Visualisierung: Markus Hindelang)

Lageplan mit genehmigter Bebauung