Altstadtbrief 2015

Ort
Kempten
Datum
09.01.2016

Gestaltungsbeirat: für ein Mehr an Baukultur


Zukunft Artillerie-Kaserne – ein Fall für den neuen Kemptener Gestaltungsbeirat?

Im ersten deutschen Baukultur - Bericht, den die Bundesstiftung Baukultur mit Sitz in Potsdam zum letzten Jahreswechsel veröffentlicht hat, werden gleich zu Beginn die wichtigsten Gründe für Baukultur aufgezählt. Ganz oben steht dort zu lesen:

`Baukultur ist Lebensqualität – Je besser und nachhaltiger unsere gebaute Umwelt gestaltet ist, desto wohler fühlen wir uns in ihr. Je gemischter und vielfältiger das Angebot an Nutzungen und Einrichtungen ist, desto höher ist unsere Zufriedenheit mit dem Alltagsleben in der Stadt.`

Damit ist eigentlich kurz und knapp alles gesagt, warum es sich lohnt, sich des Themas auch in unserer Region anzunehmen und immer wieder auf dessen essentielle Bedeutung für unser Zusammenleben hinzuweisen. Ein wesentliches Instrument stellt dabei dasjenige eines Gestaltungsbeirates dar, der die politisch Verantwortlichen unabhängig bei wesentlichen Entscheidungen berät, die die gebaute Umwelt betreffen. Nachdem in der Vergangenheit bereits in Sonthofen und Kaufbeuren ein Gestaltungsbeirat von den dortigen Stadträten installiert wurde, hat sich nunmehr auch das Kemptener Kommunalparlament in seiner letzten Sitzung vor der diesjährigen Sommerpause aus gutem Grund dazu durchgerungen – ein Schritt, den alle Kemptener Kulturverbände, der BDA und das architekturforum allgäu jahrelang gefordert haben. Ein entscheidender Impuls dazu erfolgte für die städtischen Entscheidungsträger im Januar diesen Jahres, als der Biberacher Baubürgermeister Christian Kuhlmann von den vielen Vor- und den wenigen Nachteilen eines solchen Gremiums in seiner Stadt berichtete. Nach einer zweijährigen `Probezeit` war die Stadt Biberach so sehr von dem Gremium überzeugt, dass dieses seither nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt wurde. Dem häufig genannten Argument in der Diskussion im Vorfeld, dass ein Beratungsgremium Zeit beansprucht und zusätzliches Geld kostet, ist zu entgegnen, dass Bauvorhaben, die dem Gremium präsentiert werden, normalerweise – vor allem von Investorenseite – viel fundierter aufbereitet sind und bei entsprechender Qualität damit schneller die Genehmigungshürde nehmen. Zudem spart sich die Stadt dadurch hauptamtliche Personalstunden bei der Bearbeitung der Bauanfragen. 

Der einstimmig erfolgte Satzungsbeschluss des Kemptener Stadtrates beinhaltet die individuell auf unsere Stadt zugeschnittenen Modalitäten: So erfolgen Vorschläge durch die Verwaltung, welche wichtigen städtebaulich prägenden Vorhaben behandelt werden sollen – wobei der Oberbürgermeister schlussendlich auswählt, welche Bauvorhaben dem Gestaltungsbeirat vorgelegt werden. In einem nichtöffentlichen Sitzungsteil macht sich das Gremium zusammen mit OB, Baureferent, Leiterin des Stadtplanungsamtes und je einem Vertreter der Fraktionen ein Bild vor Ort, ehe im Anschluss das Bauvorhaben öffentlich fundiert beraten wird. Die qualifizierte Empfehlung des Gestaltungsbeirats fließt dann in die Meinungsbildung des Stadtrates ein, dem natürlich nach wie vor die endgültige Entscheidung obliegt. Derzeit wird die Besetzung des 5-köpfigen Gremiums, bestehend aus einer ausgewogenen Mischung aus auswärtigen Städteplaner|innen, Architekt|inn|en und Landschaftsarchitekt|inn|en, festgelegt. Der Gestaltungsbeirat soll zum Jahreswechsel die Tätigkeit aufnehmen, seine erste Sitzung ist für den 15. Februar vorgesehen.

Wir wünschen uns über das Gremium des Gestaltungsbeirates eine inspirierende Sach-Diskussion, die bestimmt nicht immer ohne Reibungsverluste verlaufen wird, aber mit Sicherheit die Qualität unserer gebauten Umgebung und damit unserer Lebensqualität befördern wird. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang eine mehr und mehr über das Einzelobjekt hinausgehende Betrachtungsweise, die ein strukturelles Gesamtkonzept für die Stadtentwicklung zugrunde legt und dabei verstärkt auf Bürgerinformation und Bürgerbeteiligung setzt.

Wir gratulieren neben Kempten auch Sonthofen und Kaufbeuren ganz herzlich zu Ihren Gestaltungsbeiräten und erhoffen uns dadurch wesentliche Beiträge für eine kontinuierliche Steigerung der Gestaltungsqualität im jeweiligen Stadtgebiet. Die einzige kreisfreie Allgäuer Stadt, die sich bisher noch kein solches Gremium leistet, ist Memmingen, zeigt aber bereits starkes Interesse daran.

Wichtig wäre dem architekturforum allgäu aber nicht nur eine Präsenz von Gestaltungsgremien in den Städten unserer Region, sondern ebenso auf gemeindlicher Ebene; hier sollte in den einzelnen Landkreisen ein Gestaltungsbeirat beim Landratsamt abrufbar sein, um bei Bedarf in die jeweilige Landgemeinde geholt werden zu können. Im Sinne des Mottos `Baukultur ist Lebensqualität` halten wir dies für ein weiteres notwendiges Instrumentarium, um unsere Allgäuer Heimat zukunftsfähig und nachhaltig weiterzubauen.

fs / 06.12.15 architekturforum allgäu e. V. 

Quelle:

Der Altstadtbrief Nr. 42 2015, Seite 16, Herausgeber: Freunde der Altstadt Kemptens e. V.